Interview Prof. Dr. Ewa Klara Stürmer im Vorfeld zum 04. Nürnberger Wundkongress 2.-3. Dezember 2021
Schlecht heilende Wunden nach langjährigen Durchblutungsstörungen sind ein Problem bei immer mehr älteren Menschen. Die Behandlung ist oft schwierig, denn es gibt nicht den einen, richtigen Weg, um chronische Wunden zu verschließen. Neuere Forschungen versuchen die Wundheilung zu verbessern und zu beschleunigen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse sollen in der translationalen Wundforschung möglichst schnell für die Patienten nutzbar gemacht werden. Prof. Dr. Ewa Klara Stürmer, Leiterin der translationalen Wundforschung am Universitären Herz- und Gefäßzentrum UKE Hamburg, gibt Einblicke in neue Entwicklungen beim 4. Nürnberger Wundkongress vom 2.–3. Dezember 2021. Gemeinsam mit Prof. Dr. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe, hat sie die wissenschaftliche Leitung des digitalen Fachkongresses übernommen.
Akute und chronische Wunden belasten den betroffenen Patienten stark, die Lebensqualität sinkt mitunter erheblich. Welche neuen Methoden in Diagnostik und Therapie gibt es zur Behandlung solcher Wunden?
Frau Prof. Stürmer: Chronische Wunden sind vorwiegend vaskulärer Genese, die Ursache liegt in den Blutgefäßen, oder sie entstehen als Folge des Diabetes mellitus. In seltenen Fällen liegen auch immunologische Erkrankungen dahinter. Allein daran zu denken, dass letztere auch eine Ursache chronischer Wunden sein können, ist schon ein wesentlicher Aspekt ihrer Diagnose und damit der adäquaten Therapie. Wenn bei Patienten eine chronische Wunde diagnostiziert worden ist, so ist neben der angepassten Lokaltherapie eine weiterführende Diagnostik zur Feststellung der Wundursachen, das heißt der zugrundeliegenden Erkrankung oder Erkrankungen, essenziell. Nach ausführlicher Anamnese gehören eine vaskuläre Diagnostik mittels Duplex-Doppler-Sonographie und Oszillographie der unteren Extremitäten dazu. Stets sollte auch ein Diabetes verifiziert oder ausgeschlossen werden. Wenn man diese Grundprinzipien beachtet, kommt man relativ schnell zur Diagnose der Grunderkrankung und kann diese adäquat therapieren. Relativ neu in der Diagnostik ist die hyperspektrale Analyse der Wundregion, die Aufschlüsse über die regionale Durchblutung und Sauerstoffversorgung gibt.
Welche mitunter auch neuen Ansätze der interdisziplinären und interprofessionellen Arbeit gibt es auf diesem Gebiet der Medizin?
Frau Prof. Stürmer: Besonders effektiv ist hierbei eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit zwischen Hausarzt, Fachärzten und der Pflege. Arbeiten diese in regionalen Wundzentren zusammen, so sind die Patienten sehr gut versorgt: Patienten mit chronischen Wunden sind eigentlich niemals „geheilt", ihre Wunden sind eher in Remission. Kommt es zur Wundverschlechterung, treten unerwartet starke Schmerzen auf oder entstehen nach einer längeren Zeit wieder neue Wunden, so kann in interdisziplinärer Zusammenarbeit die Ursache der Verschlechterung zeitnah identifiziert und therapiert werden. Hierzu bedarf es „kurzer Wege" und einer gelebten Kooperation.
Welche Innovationen sind in dem Zusammenhang zu nennen?
Frau Prof. Stürmer: Jedes Jahr gibt es spannende Innovationen in der Wundtherapie. Diese, die einen Vorteil für Patienten bringen und einfach in der Handhabung sind, bekommen in der klinischen Realität die Chance, sich zu bewähren. Wichtig ist allerdings, dass sie auch durch die Gesetzlichen Krankenkassen erstattungsfähig sind. An Innovationen auf dem diesjährigen Kongress werden zum Beispiel biodegradable Matrices auf Polylactid- oder Seidenbasis, eine neue Substanz für ein chemisches Wunddebridement, was Operationen vermeiden soll, eine artifizielle Ersatzhaut oder auch Fischhaut zur Deckung von Problemwunden vorgestellt. Diese Dinge werden sich mit den bewährten Methoden messen müssen. Ich bin sehr gespannt darauf, ob sie sich nach ihrer Zulassung als Medizinprodukte im Milieu der chronischen Wunden beweisen oder auch hier die bakterielle Degradation siegt.
Stichwort Biofilm. Da ist von einer Herausforderung des Jahrzehnts in der Wundversorgung die Rede. Welche neuen Erkenntnisse liegen zum Thema Biofilm vor? Wie werden sie umgesetzt?
Frau Prof. Stürmer: Biofilm ist deshalb in meinen Augen die „Herausforderung dieses Jahrzehnts", weil die Bakterien im Biofilm eine hohe Toleranz gegen unsere ansonsten hoch effektiven und bewährten Wund-Desinfektionsmittel haben. Das bedeutet nicht, dass diese Bakterien jetzt resistent gegen antimikrobielle Substanzen, wie wir es gegen Antibiotika erkennen, geworden sind. Im Wundbiofilm „mauern" sie sich in ein Protein-Zucker-Gemisch, die sogenannte extrapolymere Substanz (EPS), ein, in die die antimikrobiellen Substanzen nicht oder nur wenig eindringen können, um die Bakterien zu töten. Das heißt, wir brauchen eigentlich neue Substanzen zur Spaltung dieses Protein-Zucker-Konstruktes. Wenn dieses gespalten ist, können unsere antimikrobiellen Substanzen die Bakterien wie üblich töten. Es gibt erste Kombinationsprodukte, die sozusagen über zwei Komponenten verfügen: erstens über einen Inhaltsstoff, der das Protein-Zucker-Gemisch der EPS aufspaltet, und dann ein weiteres, antimikrobielles, was die Bakterien tötet. Es ist also ein Umdenken in der antibakteriellen Therapie notwendig, wenn es um die Bekämpfung von Wund-Biofilm geht.
Man spricht auch von einem „gesunden" Biofilm, kann dieser in der Therapie genutzt werden?
Frau Prof. Stürmer: Einen „gesunden" Biofilm im Zusammenhang mit chronischen Wunden gibt es nicht. Es gibt jedoch innovative Ansätze, bei denen „gute Bakterien", wie zum Beispiel Probiotika, die schlechten, pathogenen Biofilm-Bakterien verdrängen sollen, aber dies ist noch ein nicht ausreichend analysiertes Konzept.
Welche neuen Kombinationstherapien bei der Behandlung chronischer Wunden werden auf dem Kongress vorgestellt?
Frau Prof. Stürmer: Die Therapie chronischer Wunden ist immer eine Komplex-Therapie, welche zudem möglichst interdisziplinär und sektorenübergreifend erfolgen sollte. Die Therapie der Grunderkrankung mit Verbesserung der Durchblutung in den unteren Extremitäten und Einstellung des Diabetes ist Grundvoraussetzung und darf keinesfalls in den Hintergrund treten. An den Wunden lokal sollte immer ein individuelles Exsudat-Management erfolgen. Manche Wunden neigen zu Trockenheit und müssen mit Gelen oder Alginaten feucht gehalten werden, andere haben viel zu viel Flüssigkeitsabsonderung, was durch tägliche Verbandswechsel mit Superabsorbern beherrscht werden sollte. Gegebenenfalls ist eine Verminderung der bakteriellen Belastung erforderlich oder muss eine aufkeimende Infektion mit antimikrobiellen Wundauflagen behandelt werden. Auch dieses erfordert individuell-angepasste Kombinationen aus Primar- und Sekundärverbänden, damit Heilung möglich wird. Wenn es medizinisch indiziert ist, sollte zusätzlich eine Kompressionstherapie eingesetzt werden, um Beinschwellungen und venöse Stauungen zu reduzieren. Hierbei müssen jedoch Kontraindikationen, wie etwa eine Mangeldurchblutung der Beine oder die kardiale Situation der Patienten, berücksichtigt werden.
Wir bedanken uns herzlich für das Interview!
Das Interview wurde von Frau Kerstin Aldenhoff, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Conventus Congressmanagement & Marketing GmbH, geführt.
Im kommenden Jahr soll MESSEZENTRUM NÜRNERG wieder die realen Türen zum „WUKO“ öffnen, so wünschen es sich Veranstalter und Tagungspräsidenten. Alle hoffen, dass es dann wirklich klappt. Sicher ist aber: Es lohnt sich in jedem Fall, den 1.-2.12. 2022 im Kalender zu reservieren.
Der 05. Nürnberger Wundkongress wird dann unter der wissenschaftlichen Leitung von Frau Prof. Dr. Ewa K. Stürmer (Hamburg). Das Tagungsmotto lautet „Wer heilt hat Recht – Wundtherapie zwischen Evidenz und Bauchgefühl“.
Als Schwerpunktthemen zum WUKO 2022 sind geplant
- Wunde & Psyche - Empowerment, Freiheitsgrade & Compliance versus Adhärenz
- Leitlinien & Evidenz in der Wundtherapie (mit Bezug auf neue LL 2022)
- Innovationen in der Wundtherapie
- Wundinfektionen & Biofilm
- Wundinfektion versus lnflammation
- Seltene Wunden & ihre (System-)Therapien
- Wunde vital: Entscheidungsfindung Naht, NPWT, Matrix oder Gewebeplastik
- Kompetenzen im intersektoralen Wundmanagement(inkl. Thema Weiterbildung & Zertifizierung)
- Komorbiditäten der Wunden – Diabetes, Demenz & Depression
- Empfehlung Kompressionstherapie – Vaskuläre, Lymph- & Lipödeme
- Rechte & Pflichten in der Wundtherapie – Wer darf was?