„Verantwortung für Deutschland“ statt „Mehr Fortschritt wagen“ heißt es jetzt auf der Titelseite des Koalitionsvertrags der designierten Regierungsparteien. Was bedeutet der Fokus auf „Verantwortung“ für den Pflegebereich? Und: Wie sieht es künftig mit dem „Fortschritt“ aus? Die WUND_letter-Redaktion hat die schwarz-roten 146 Seiten aus Sicht der Pflege unter die Lupe genommen und fragt zudem, was aus den Pflegeplänen des Ampel-Koalitionsvertrags geworden ist [1,2].
Als Anfang April 2025 – früher als erwartet – die Vorsitzenden der künftigen Regierungsparteien mit ihrem Koalitionsvertrag an die Öffentlichkeit gingen, standen weniger die Zukunft der Pflege als vielmehr andere Themen im Mittelpunkt: Wirtschaftswachstum, Asylpolitik, Verteidigung – um nur einige Bereiche zu nennen, in denen Deutschland fitter werden soll. Dagegen fällt das Pflegekapitel mit nicht einmal einer Druckseite klein aus. Die Inhalte lassen allerdings Großes hoffen – zumindest langfristig.
Die große Pflegereform – ein neuer Versuch
Das Pflegekapitel wird dominiert von der langfristig geplanten „großen Pflegereform“. Deren Ziele hören sich nach einem Rundumschlag an:
- Sicherung der nachhaltigen Finanzierung und Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung
- Stärkung der ambulanten und häuslichen Pflege
- Bürokratiearme Leistungsbeantragung für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen
Wie möchte man diese Ziele erreichen? Auch hier denkt man groß: Eine Bund‑Länder‑Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände erhält den Auftrag, die Grundlagen der Reform zu erarbeiten, und muss dafür eine lange Liste von Themen prüfen: Vom Leistungsumfang über Konzepte für die sektorübergreifende Versorgung („stambulant“) bis hin zu einer Verringerung des Eigenanteils für die Betroffenen. Der Zeitplan ist sportlich, denn „noch 2025“ sollen Ergebnisse vorliegen. Dagegen darf sich die ebenfalls neu einzurichtende Kommission zur Stabilisierung der Krankenversicherungsbeiträge bis ins Jahr 2027 Zeit lassen [1].
„Verschiedenes“ – Stichwortsammlung für weitere Vorhaben
Nach der ausführlichen Beschreibung der Reformpläne war offensichtlich der Platz im Koalitionsvertrag ausgeschöpft. Denn es genügte ein langer Satz, um die „kurzfristigen“ Vorhaben aufzuzählen – darunter Gesetze zur Pflegekompetenz, Pflegeassistenz und zur Einführung der „Advanced Practice Nurse“. Diese Pläne sind übrigens nicht neu, da die Vorgängerkoalition entsprechende Gesetzgebungsverfahren bereits auf den Weg gebracht hatte, die noch nicht abgeschlossen sind [1,2].
Pflegerelevantes in anderen Kapiteln des Koalitionsvertrags
Wer jetzt den Koalitionsvertrag wieder zuklappt, könnte wichtige weitere Vereinbarungen mit Relevanz für die Pflege übersehen, die an anderer Stelle zu finden sind [1]:
- Finanzierungsvorbehalt: „Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“, heißt es im Kapitel 2.1 zu Haushalt, Finanzen und Steuern. Das heißt, dass die vielen Pläne nur in Angriff genommen werden dürfen, wenn dafür ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stehen.
- Bürokratieabbau: Ein Bürokratieentlastungsgesetz soll alle Gesetze im Gesundheits- und Pflegebereich auf den Notwendigkeits-Prüfstand stellen. Dabei wird das SGB XI explizit genannt. Hier sollen insbesondere pandemiebedingte Datenschutzvorschriften sowie Berichts- und Dokumentationspflichten abgeschafft werden („ohne die Vorsorge für zukünftige Pandemien zu gefährden“). Außerdem soll Künstliche Intelligenz (KI) die Dokumentation unterstützen und es wird ein digitales Berichtswesen angestrebt.
- Digitalisierung: Bis 2027 müssen die Anbieter von Software- und IT-Lösungen im Pflegebereich einen „verlustfreien, unkomplizierten, digitalen Datenaustausch auf Basis einheitlich definierter Standards sicherstellen“.
- Gesundheitsberufe: Die neue Regierung möchte einen „kompetenzorientierten Fachpersonaleinsatz und die eigenständige Heilkundeausübung“ für Gesundheitsberufe ermöglichen. Insbesondere soll die Eigenverantwortung in der Pflege gestärkt werden. Als deutliches Zeichen soll die Pflege-Selbstverwaltung einen festen Sitz mit Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erhalten – was allerdings bereits im letzten Koalitionsvertrag versprochen wurde (siehe unten). Außerdem möchte man die Weiterqualifizierung von berufserfahrenen Pflegefachkräften durch das Anerkennungsverfahren nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) mithilfe von „Kompetenzfeststellungsverfahren der zuständigen Praxisanleitungen“ vereinfachen.
Was wurde eigentlich aus den Plänen der Ampelkoalition?
Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Pläne umgesetzt werden? Hier hilft vielleicht ein Realitätsabgleich der Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag der Ampelparteien – siehe WUND_letter vom 10.12.2021 „Neuer Koalitionsvertrag: 5 Pläne für die Pflegepolitik“):
- Der steuerfreie Pflegebonus für den Einsatz in der Corona-Pandemie wurde 2022 beschlossen [2,3].
- Die Pflegepersonalregelung 2.0. (PPR 2.0) als Übergangslösung für die Personalbemessung in Krankenhäusern wurde zum 01.07.2024 eingeführt [4].
- Dagegen wurde die Steuerbefreiung von Zuschlägen bis heute nicht umgesetzt [2,5].
Einige Pflegevorhaben hat die Ampelkoalition nicht mehr abschließen können. Sie sollen aber unter Schwarz-Rot weiterverfolgt werden, darunter:
- Das noch unvollendete G-BA-Stimmrecht für die Pflege erhält eine zweite Chance im neuen Koalitionsvertrag [1,2].
- Auch die verschiedenen, zum Teil bereits begonnenen, Gesetzesvorhaben zur Pflegeausbildung wurden in den neuen Koalitionsvertrag übernommen [1,2].
- Die Finanzierungsreform der Pflegeversicherung wurde ebenfalls in die neue Legislaturperiode verschoben. Was dabei aus den früheren Plänen für eine Pflegevollversicherung wird, bleibt abzuwarten [1,2]
Damit fällt die Ampel-Bilanz doch gar nicht so schlecht aus, was für den neuen Koalitionsvertrag hoffen lässt.
Referenzen
1. Verantwortung für Deutschland Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 21. Legislaturperiode, unter: https://www.koalitionsvertrag2025.de/ oder https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag2025_bf.pdf (abgerufen: 28.04.2025)
2. Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, unter: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf (abgerufen: 28.04.2025)
3. Bundesregierung. Bonus für Pflegekräfte beschlossen, 10.06.2022, unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bonus-fuer-die-pflege-2021574 (abgerufen: 28.04.2025)
4. Bundesregierung. Mehr Zeit für Patientinnen und Patienten, 19.06.2024, unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/personalbemessung-krankenhaus-2292876 (abgerufen: 28.04.2025)
5. Arbeitgeberverband Pflege, Netto-Uhr, unter: https://arbeitgeberverband-pflege.de/ (abgerufen: 28.04.2025)