von Barbara Springer
„Die Wunde im Fokus – der Mensch im Mittelpunkt“ In diesem Jahr fand der Nürnberger Wundkongress zum sechsten Mal und schon im November statt. Rund 2.000 Mediziner, Pflegefachkräfte und Wundinteressierte kamen in der Meistersingerhalle in Nürnberg zusammen, um sich wissenschaftlich fortzubilden und Erfahrungen auszutauschen.
Eröffnung und Grußwort des Kongresspräsidenten
In der Eröffnungsveranstaltung gab der Kongresspräsident Prof. Dr. Joachim Dissemond aus Essen einen Überblick über die Kongressthemen und hob dabei zwei Aspekte besonders hervor: Zum einen die Diskussion um den Prozess zur Erstattungsfähigkeit von Wundauflagen. In der frisch herausgekommenen Aktualisierung der S-Leitlinie zur S3 Leitlinie Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz (Link setzen) gibt es für kaum ein Verfahren oder einen Wundauflagentyp eine wissenschaftliche Evidenz zur positiven Wirkung.
Prof. Dissemond sprach das Problem an, dass solchen hochrangigen Leitlinien klinische Studien mit hohem Evidenzgrad zugrunde liegen, die als Endpunkt den kompletten Wundverschluss haben. Dies ist jedoch aufgrund verschiedener Faktoren, unter anderem der meist kurzen Studiendauer kaum zu erreichen – mit dem Ergebnis, dass eben keine Evidenz erreicht werden kann und es daher dann auch keine Empfehlung in der Leitlinie für die entsprechenden Verfahren gegeben werden. Hier könnten auch andere Studienendpunkte, wie zum Beispiel die Schmerzminimierung oder die Lebensqualität angewendet werden, so Prof. Dissemond weiter.
Als zweites wagte er einen Blick in die Zukunft zu der Frage, wo man in der Wundversorgung in 5 Jahren stehen werde. Prof. Dissemond sieht Chancen in der Anwendung künstlicher Intelligenz, wobei natürlich auch die Risiken beachtet werden müssen. Auch die Telemedizin werde sich weiter etablieren und entwickeln, besonders in ländlichen Bereichen. WEiterhin gibt es zahlreiche Gesundheits-Apps und Smart-Wearables, die zum Beispiel den Puls messen oder die täglichen Schritte zählen. Sie gehören für viele Menschen schon heute zum Alltag und ermöglichen Patientinnen und Patienten, ihre eigenen Gesundheitsdaten zu verfolgen und Therapien zu steuern.
Ehrung 60.000-ste Absolventin ICW/TÜV-Personenzertifizierung
Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung wurde Frau Thyra Herzog aus Ingoldstadt als 60.000-ste Absolventin ICW/TÜV-Personenzertifizierung geehrt. Frau Ida Verheyen-Cronau (Leitung Zertifizierungsstelle ICW / PersCert TÜV) und Prof. Dissemond gratulierten herzlich und überreichten ihr eine Urkunde sowie einen Gutschein zum Besuch des 15. ICW-Süd/HWX-Kongresses 2024 und einen Blumenstrauß.
Musikalisch umrahmt wurde die Eröffnung von Frau Sirka Schwartz-Uppendieck vom Verein Komponistinnenkonzerte e.V., die auf der großen Orgel in der Meistersingerhalle unter anderem Werke von Gershwin spielte.
Eröffnungsvortrag: Placebo und Nocebo in der Medizin
Den Festvortrag hielt Prof. Dr. Manfred Schedlowski aus Essen. Es ist bekannt, dass die Wirkung von Therapien auch durch psychologische Effekte beeinflusst wird. Dabei können Wirkungen, aber auch Nebenwirkungen von Behandlungen durch Erwartungen und Lernprozesse verstärkt werden – die sogenannten Placebo- oder Nocebo-Effekte. Sie beruhen auf nachweisbaren neurobiologischen Mechanismen und sind mehr als „Einbildung“, wie Prof. Schedlowski erläuterte. Die Effekte haben unter anderem mit Erwartung und Kommunikation zu tun. Er zeigte diverse Studien, die Placebo- und Nocebo-Effekte in Zusammenhang zu Symptomen, die häufig bei Wunden auftreten, belegen. So konnten zum Beispiel Erwartungseffekte für akute und chronische Schmerzen sowie für Juckreiz nachgewiesen werden: Patienten mit atopischer Dermatitis wurden darüber informiert, dass sie eine Injektion mit einem „Allergen“ erhalten würden (tatsächlich wurde eine wirkstofffreie Kochsalzlösung verabreicht). Dies führte nachweislich zu deutlich mehr Juckreiz und darüber hinaus zu einer verstärkten Aktivierung in verschiedenen Juckreiz-assoziierten Hirnregionen, als wenn die Injektion wahrheitsgemäß als Kochsalzlösung angekündigt worden wäre. Aktuell wird zu psychologischen und neurobiologischen Mechanismen, die den Effekten von Behandlungserwartungen zugrunde liegen, geforscht. Das Wissen um Placebo- und Noceboeffekte kann gezielt genutzt werden, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Behandlungen und Therapien zu verbessern.
Deutscher Wundrat e. V.
Auf der Sitzung des Deutschen Wundrat e. V. wurden spannende Fragen zu den aktuellen Entwicklungen in Forschung und Versorgung in der Wundcommunity diskutiert. Die Veranstaltung lieferte Einblicke in aktuelle Forschungen und Praktiken, die für medizinische Fachkräfte und die Öffentlichkeit gleichermaßen von Interesse sind. Inga Hoffmann-Tischner vom Wundmanagement Köln hob die Bedeutung der palliativen Wundversorgung hervor. Sie betonte die Notwendigkeit antimikrobieller Produkte in der Pflege und warnte vor möglichen Konsequenzen bei deren Wegfall. Dr. Julian-Dario Rembe stellte das innovative Wund-Biobanking/-Register vor, das biologische Proben und Daten sammelt, um die Forschung und Behandlung chronischer Wunden zu verbessern. Prof. Dr. Matthias Augustin aus Hamburg betonte die Rolle von Komorbiditäten bei chronischen Wunden und schlug vor, diese systematisch zu erfassen. Prof. Ewa Klara Stürmer aus Hamburg präsentierte neueste Erkenntnisse zum Debridement und betonte die Herausforderungen in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Prof. Dr. Martin Storck aus Karlsruhe fasste die Sitzung zusammen und betonte die Bedeutung einer differenzierten Zielbetrachtung in der Wundbehandlung, insbesondere im palliativen Umfeld. Psychologische Faktoren und Komorbiditäten sollten berücksichtigt werden, und die Nutzung einer Datenbank für Studienfragen wurde als hilfreich dargestellt. Die Uneinheitlichkeit zwischen stationärer und ambulanter Versorgung sowie unterschiedliche europäische Standards beim scharfen Debridement wurden ebenfalls hervorgehoben. Insgesamt verdeutlichten die Vorträge die Komplexität der Wundversorgung und die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung für eine verbesserte Lebensqualität von Patienten
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Der nächste und 07. Nürnberger Wundkongress findet vom 5.-6. Dezember wieder in der Meistersingerhalle in Nürnberg statt.
Den ausführlichen Kongressbericht lesen Sie in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift WUNDmanagement.
