Ethik im Gesundheitswesen, Chancen und Risiken im Dilemma

© iStock.com/S-S-S

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von Martin Motzkus


Nun neigt sich das Jahr schon wieder dem Ende zu und wir bereiten uns auf die Weihnachtszeit vor. Es ist eine Zeit der Besinnung und der inneren Einkehr. Deshalb kommt dieser WUND_letter vielleicht etwas spezieller daher, als Sie es thematisch gewohnt sind.
 

Ein Ethiktag steht bevor

Ich frage einmal ganz direkt: Was halten Sie von Berufsethik? Genau diese Frage wurde mir kürzlich gestellt, und ich hatte zunächst keine passende Antwort auf diese sehr allgemeine Frage. Der Hintergrund war ein geplanter Ethiktag in meiner Klinik. Es ging um Berufspolitik, um die Situation der Krankenhäuser und die Sicht der verschiedenen Berufsgruppen auf die gesundheitspolitische Misere, in der wir uns derzeit befinden.

Mir gingen Themen wie Fachkräftemangel, Finanzknappheit, Investitionsstau und natürlich die Qualität der Versorgung durch den Kopf. In diesem Zusammenhang spielen auch ethische Fragen eine Rolle, denn nicht selten klafft eine große Lücke zwischen unserer Haltung bzw. Einstellung zu unserer Arbeit und den Anforderungen und Notwendigkeiten in der Realität.

Da ich selbst auch einen Vortrag halten sollte, wollte ich zunächst herausfinden, welche ethischen Themen mein Arbeitsalltag als Wundmanager im Krankenhaus mit sich bringt. Nun, da sich Ethik mit Fragen zu moralischen Vorstellungen und Überzeugungen beschäftigt, lohnt es sich, darüber nachzudenken, wann diese eine Rolle spielen und wo hier die Gefahren lauern.

 

Wundversorger und auch andere medizinisch tätige Fachkräfte haben ein besonderes Werte- und Rollenverständnis haben und tragen eine hohe Verantwortung!

 

Werte- und Rollenverständnis in der Pflege

Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass Wundversorger wie auch andere medizinisch tätige Fachkräfte ein besonderes Werte- und Rollenverständnis haben und eine hohe Verantwortung tragen.

Es besteht die Notwendigkeit einer ständigen kritischen Reflexion des eigenen Handelns und einer hohen ethischen Kompetenz für alle diese Mitarbeitenden. In Grenzbereichen, wie z.B. der Intensivtherapie oder Palliativbehandlung wird das besonders deutlich, weil die Situation der uns anvertrauten Patientinnen und Patienten oft Entscheidungen verlangt, die nicht nur stur Leitlinien folgen, sondern auch von eigenen Überzeugungen, Erfahrungen und eben der persönlichen Haltung stark beeinflusst werden.

Da tauchen Situationen auf, die Fragen aufwerfen wie: Sollte ich dem Patienten zur Operation raten oder lieber auf die Gefahren hinweisen und eine andere Empfehlung aussprechen? „Darf“ der Patient sterben oder besteht eine realistische Chance auf Heilung, bzw. Besserung?

In der Wundversorgung werden dann häufig die Lebensqualität und -umstände in die Entscheidungen miteinbezogen. Kann das Bein amputiert werden, wenn der Patient „eh nicht mehr laufen kann“ oder sollte es um jeden Preis erhalten werden, auch wenn eine belastende und langwierige Therapie mit ungewissem Ausgang in Kauf genommen werden muss?

Ist Zeit wirklich Geld?

Oft sind diese Entscheidungen aber auch von ökonomischen Aspekten geprägt. Den Satz „Zeit ist Geld“, hört man im Gesundheitswesen immer häufiger. Eine Steigerung der Fallzahlen in allen Bereichen unter zunehmend knapper werdenden finanziellen und personellen Ressourcen bleiben aber nicht ohne Folgen. Die Revaskularisation des Beines eines Patienten mit PAVK ist aus Sicht des Krankenhauses lukrativ, die konservative Behandlung mit Bewegungsförderung aber ebenso erfolgversprechend, wie Studien zeigen [1].

Natürlich erfordert das Therapeuten, die motivieren und begleiten, sich also Zeit nehmen und die hat nun mal kaum jemand, oder? Dabei handelt es sich meiner Meinung nach um einen Widerspruch in sich selbst, wenn jemand sagt, er habe keine Zeit. Und zwar deswegen, weil es einzig und allein die Frage aufwirft, wofür exakt die zur Verfügung stehende Zeit denn verwendet wird. Sinnvoll?

Schnelle Therapieentscheidungen bei immer kürzeren Liegezeiten im Krankenhaus sind ökonomisch sinnvoll, aber riskant. Kann ich doch in kurzer Zeit nicht sicher sein, ob ich alle relevanten Aspekte beachtet habe. Knappe Anamnesegespräche mit „Mut zur Lücke“ führen zu Fehldiagnosen oder nicht patientengerechten Empfehlungen. Aktives Zuhören und eine Sichtung aller wichtigen Ergebnisse der Diagnostik benötigen aber Zeit. Zeit, die oftmals fehlt.

Es gibt aber auch andere Folgen, die sich in vielen Berufsgruppen des Gesundheitswesens. Wir haben es schon während der Corona-Pandemie erlebt, dass aufgrund fehlender Kapazitäten an Intensivbetten über das Triagieren diskutiert wurde. Die Situation hat sich seitdem kaum verändert. Aufgrund fehlenden Personals werden in den Kliniken Operationen verschoben, von Pflegediensten aufwändige Patienten abgelehnt und in Pflegeeinrichtungen rote Zahlen geschrieben, weil die zur „schwarzen Null“ erforderlichen Bewohner nicht versorgt und damit nicht aufgenommen werden können. Klassische Dilemmata, die zu ethischen Problemen führen, wie sich jeder denken kann. Am Ende bleiben Menschen unversorgt, die dringend eine gebotene Behandlung oder Pflege benötigen.

Auch in der Wundversorgung zeigen sich die Folgen. Patienten versorgen sich selbst oder müssen Angehörige/Laien beauftragen. Wundpatienten kommen mit schlimmen Befunden in die Kliniken, weil sich niemand fachgerecht darum kümmern kann und es gibt zahlreiche andere Beispiele.

Das führt bei vielen Mitarbeitenden zu Resignation, Berufsflucht, Reduktion der Stellenanteile, um Phasen der Erholung zu haben und natürlich zu hohen Krankenständen. Dazu kommen ethische Konflikte, die diese Personengruppen oftmals nur schwer aushalten können.


Der Weg aus dem NOTSTAND kann nur gemeinsam gelingen! 

In seinem Buch „Kranke Pflege“ schreibt der Autor Alexander Jorde [2]: „Professionelle Pflege ist weit mehr, als es gesellschaftliche Klischees erscheinen lassen.“ Und: „Der Weg aus dem NOTSTAND kann nur gemeinsam gelingen!“ Klar, das Niveau, dass Pflegende und ärztliche Mitarbeitende von sich selbst erwarten, also der eigene Anspruch und die intrinsische Motivation für die tägliche Arbeit sind verschieden. Erziehung, Vorbilder und auch strukturelle Einflüsse haben da einen großen Einfluss. Dennoch ist der Tenor allgemein der, dass Viele, die ihren Traumberuf im Gesundheitswesen gefunden haben, gerne mit Menschen arbeiten und sich über Behandlungserfolge freuen. Da nehmen Viele von uns ungünstige Arbeitsbedingungen, Stress und eben ethische Konflikte in Kauf. Viele Herausforderungen können durch ein gutes Team mitgetragen werden. Aber die Fassade bröckelt schon lange und die Ergebnisse der langjährigen Misswirtschaft sind sichtbar gewordene Realität.

Licht am Ende des Tunnels

Doch es gibt auch positive Nachrichten. Viele politische Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit zeigen gerade für die Wundversorgung, dass sich hier etwas tut. Insbesondere die Heilkundeübertragung, aber auch die (zurzeit noch im Umbruch befindlichen) Regelungen zur häuslichen Krankenpflegerichtlinie (HKP-RL) lassen hoffen, dass die Qualität zumindest in der Wundversorgung mittelfristig ansteigt. Ich freue mich auch an den Menschen in meinem Umfeld, die zeigen, dass trotz widriger Umstände hervorragende Arbeit mit tollen Ergebnissen gelingen kann. Gemeinsam, im Team gelingt Vieles.

Jeder Erfolg sollte daher mit allen Beteiligten gefeiert werden und es sollte auch nach außen kommuniziert werden: Seht her, so macht man das! Der Ethik-Tag in meiner Klinik ist vorbei und viele der Referentinnen und Referenten haben mit Ihren Vorträgen gezeigt, dass Menschlichkeit, eine positive Haltung und eine eigene hohe Motivation teil eines guten Rezepts gegen die sehr verbreitete negative Grundhaltung ist. So erschafft man Vorbilder und Mutmacher, die wir heute mehr denn je benötigen.

Ich wünsche Ihnen daher, dass Sie das Gute in Ihrem Team finden und fördern können, dass Sie Rezepte haben, die gute Arbeit gelingen lassen und Ihre Patientinnen und Patienten davon profitieren. 

 

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Quellen:

  1. Steinacker J M, Liu Y, Hanke H: Körperliche Bewegung bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Dtsch Arztebl 2002; 99(45): A-3018 / B-2550 / C-2390. Internet: Körperliche Bewegung bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (aerzteblatt.de)

  2. Jorde A: Kranke Pflege. 3. Druckaufl. Tropen Verlag 2019
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