von Susanne Moser
Kennen Sie Lio? Oder Paro? Oder Pepper? Nein, hier handelt es sich nicht um gerade angesagte Action-Helden oder Instagram-Influencer, sondern um medienpräsente Pflegeroboter. Seit einigen Jahren gelten sie als das Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel. Was nutzen sie abseits der zahlreichen Pilotprojekte in der pflegerischen Versorgungsrealität – heute und in Zukunft? Welche Rolle spielt dabei das gerade beschlossene Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) [1]?
Lio besteht aus einem mehrgelenkigen Kneifzangenarm mit Kulleraugen und kann zum Beispiel Essen servieren [2,3 ]. Dagegen hat Paro ein kuscheliges weißes Fell, sieht aus wie ein Robbenbaby und soll Menschen mit Demenz aufheitern [4]. Pepper begrüßt mit seinen großen Augen und seinem Tablet-Display auf dem Bauch gerne die Besuchenden in Pflegeheimen oder Kliniken [5]. Das sind nur drei Beispiele für Robotik in der Pflege. Während sie beispielsweise in Japan bereits regelhaft im Einsatz sind, scheinen Pflegeroboter hierzulande im Pilotprojektstadium festzustecken [6].
20,5 Millionen Euro, elf Projekte und wie geht es weiter?
Um elf dieser Robotikprojekte ging es Anfang Mai 2023 im Rahmen einer Veranstaltung der Universität Osnabrück. Dabei handelte es sich um den Abschluss der Fördervorhabens „Robotische Systeme für die Pflege“, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2020 mit rund 20,5 Millionen Euro finanziert hat. An den Verbundprojekten nahmen Hochschulen, Forschungsinstitute, Pflegeeinrichtungen, Kliniken und Hersteller in vielfältigen Konstellationen teil. Hinter den kryptischen Projektabkürzungen verbergen sich sehr unterschiedliche Ansätze, die das breite Möglichkeiten-Spektrum der Robotik veranschaulichen (in alphabetische Reihenfolge):
- ArNE: Assistenzroboter für die ambulante Pflege von Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen.
- AdaMeKoR: Pflegebett mit Roboterarmen
- HoLLieCares: Mehrzweck-Service-Roboter zum Transport innerhalb von Einrichtungen, Begleitung von Pflegedürftigen und die automatisierte Pflegedokumentation
- MobiStar: Robotersystem zur Remobilisierung von Schwererkrankten
- MORPHIA: mobiler Assistenzroboter mit Videosystem zur Kontakterhaltung zwischen Pflegebedürftigen, Angehörigen und Pflegefachkräften
- PETRA: Roboter zur Unterstützung der Patientenlogistik in Kliniken
- PfleKoro: Assistenzroboter, der Halte- und Umlagerungsarbeiten bei bettlägerigen Pflegebedürftigen erleichtern soll
- REsPonSe: Feldstudie, die untersucht, wie digitale und robotergestützte Systeme die Pflegefachkräfte in Klinken bei pflegefremden Tätigkeiten entlasten können
- RoMi: Qualifizierung eines Serviceroboters für Pflegeaufgaben in einer Klinik (zum Beispiel Hol- und Bringdienste)
- RUBYDemenz: Roboter-Puppe zur Unterstützung von Menschen mit Demenz im häuslichen Umfeld
Das wissenschaftliche Begleitprojekt „BeBeRobot“ flankierte als Nummer 11 diese zehn Projekte und untersuchte generell die Möglichkeiten der Robotik in der Pflege.
Was ist das Ergebnis nach über drei Jahren Forschungsförderung? Anlässlich der Abschlussveranstaltung resümierten die Verantwortlichen: Die Hemmschwelle für den Einsatz von Robotik in der Pflege sinke zwar, „[…] bis allerdings geeignete Entwicklungen ihren Weg in die Regelversorgung finden, wird es noch einige Zeit dauern […]“ [7–9].
Roboter ist nicht gleich Roboter
Auch wenn diese Projekte noch weit weg von der Pflegerealität stattfanden, zeigen sie, dass Roboter nicht gleich Roboter ist. Die Unterschiede sind groß. Der Deutsche Ethikrat unterteilte in seiner Stellungnahme „Robotik zur guten Pflege“ von 2020 die Systeme in drei Gruppen [10]:
- Assistenzroboter sind die prominenteste Gruppe, zu der auch Lio und Pepper gehören. Sie sollen entweder Pflegebedürftige im Alltag unterstützen oder Pflegekräfte von anstrengenden, repetitiven oder pflegefremden Tätigkeiten entlasten. Dabei können sie sehr unterschiedlich aussehen: Von den rollenden Essensausträgern mit Kulleraugen über das motorisierte Pflegebett bis zum Exoskelett.
- Monitoring-Roboter überwachen beispielsweise die Vitalfunktionen von Pflegebedürftigen im häuslichen Umfeld. Die Grenze zu den sogenannten Ambient-Assisted-Living-(AAL)-Konzepten ist fließend.
- Soziale Begleitroboter wie Paro sollen als Interaktionspartner bei den kommunikativen und emotionalen Bedürfnissen von Pflegebedürftigen unterstützen.
Wie ist Ihre Meinung? Würden Sie sich von Robotern pflegen lassen?
Ja, klar oder keinesfalls? Stimmen Sie ab in unserer kleinen Umfrage. Die Ergebnisse veröffentlichen wir im nächsten WUND_letter. Zur Teilnahme bitte auf die Abbildung klicken:

Anspruchsvolle Hindernisse und laufende Diskussionen: Was die Roboter ausbremst
Bei der Veranstaltung in Osnabrück ging es auch um die Hürden, die den Pflegerobotern im Weg stehen. Davon gibt es viele. Zum Beispiel seien sie technisch noch nicht ausgereift, was unter anderem – eine weitere Hürde – an der fehlenden Investitionsbereitschaft in diese Technologie liegen könnte. Entscheidend sind jedoch die bestehenden Ängste und Bedenken gegenüber dem Robotik-Einsatz [11]. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei wichtige Fragen:
Sind Pflegeroboter ethisch vertretbar?
Ja, „der Einsatz von Robotik hat das Potenzial, Selbstständigkeit, Lebensqualität und Teilhabechancen älterer Menschen zu fördern“, fand der Deutsche Ethikrat im März 2020 – wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Dazu gehören die Berücksichtigung ethischer Überlegungen bei der Entwicklung der Technologie, die Einhaltung hoher Sicherheitsstandards, klare Verantwortlichkeiten beim Einsatz der Systeme und nicht zuletzt die Einbindung und Ausbildung der Pflegefachkräfte. Außerdem nehmen die Ethikfachleute Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen in die Pflicht [10].
Helfen Roboter gegen den Pflegenotstand?
Nein, sagte der Deutsche Ethikrat bereits 2020. Zu dieser ernüchternden Bewertung kam man auch bei der Abschlussveranstaltung der BMBF-Förderprojekte. Pflegefachleute warten demnach weniger auf Roboter als vielmehr auf die Digitalisierung, die sie von zeitaufwändigen Aufgaben im Bereich der Dokumentation und Organisation entlastet. Allerdings sind die Digitalisierungshindernisse mindestens so zahlreich wie die Hürden für Roboter [6, 10, 11].
„Digitalisierungs-Wumms“ durch das PUEG?
Die schleppende Digitalisierung in der Pflege ist offenbar auch dem Gesetzgeber aufgefallen. Denn im neuen PUEG von Ende Mai 2023 ging es nicht nur um die Anhebung der Pflegeversicherungsbeiträge, sondern auch um digitale Entwicklungen. Neben Klarstellungen zu den Digitalen Pflegeanwendungen (DiPA) und der verpflichtenden Anbindung der Pflegeeinrichtungen an die Telematikinfrastruktur ab dem 01. Juli 2025 finden sich im neuen Gesetz zwei weitere Regelungen, die die Digitalisierung in der Pflege anschubsen sollen [1, 12]:
- Es soll ein „Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege“ eingerichtet werden, das beim Spitzenverband Bund der Pflegekassen angesiedelt ist (§ 125b SGV XI). Das neue Zentrum hat die Aufgabe, „Potentiale zur Verbesserung und Stärkung der pflegerischen Versorgung sowohl für die Betroffenen als auch die Pflegenden zu identifizieren und verbreiten.“ Dafür soll der Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung von 2023 bis 2027 eine Summe von 10 Millionen Euro bereitstellen.
- Das Förderprogramm nach § 8 Absatz 8 SGB XI für digitale und technische Anschaffungen in Pflegeeinrichtungen wird bis 2030 verlängert. Eigentlich wäre es dieses Jahr ausgelaufen. Ambulante und stationäre Pflegereinrichtungen können einen einmaligen Zuschuss für digitale Investitionen beantragen und damit 40 % der Anschaffungskosten (maximal 12.000 Euro pro Einrichtung) finanzieren. Förderfähig sind Anwendungen, die Pflegekräfte entlasten oder die Versorgung der Pflegebedürftigen verbessern beziehungsweise deren Beteiligung stärken.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelungen die Digitalisierung in der Pflegerealität oder sogar den Einzug von Robotern beschleunigen werden.
***************************
Quellen:
1. Bundesgesundheitsministerium (BMG). Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG). Stand: 26. Mai 2023, unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/gesetze-und-verordnungen/guv-20-lp/pueg.html (abgerufen: 12.06.2023)
2. Lio – Mehr Zeit für Menschlichkeit, unter: https://www.fp-robotics.com/de/lio/ (abgerufen: 12.06.2023)
3. Pflegeroboter Lio: auf Tuchfühlung mit den Bewohnern des St. Marienhauses, Caritas Altenhilfe Konstanz, unter: https://www.caritas-altenhilfe-konstanz.de/pflegeheime/stmarienhaus/pflegeroboter-lio/pflegeroboter-lio (abgerufen: 12.06.2023)
4. Soziale Pflege-Roboter setzen sich nur langsam durch. Deutschlandfunk. Stand: 18.03.2019, unter: https://www.deutschlandfunk.de/zukunft-der-pflege-soziale-pflege-roboter-setzen-sich-nur-100.html (abgerufen: 12.06.2023)
5. Hilfe in der Pflege: Roboter "Pepper" stellt sich vor. MDR. Stand: 25.05.2018, unter: https://www.mdr.de/wissen/pepper-roboter-pflege-100.html (abgerufen: 12.06.2023)
6. Krüger-Brand HE. Robotik in der Pflege: Ethikrat sieht großes Potenzial. Dtsch Arztebl 2020; 117(12): A-591 / B-508, unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/213177/Robotik-in-der-Pflege-Ethikrat-sieht-grosses-Potenzial (abgerufen: 12.06.2023)
7. Pflege-und-Robotik/BeBeRobot. 05.2023 Presse-Echo der Abschlussveranstaltung, unter: https://www.pflege-und-robotik.de/aktuelles/ (abgerufen: 12.06.2023)
8. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Brandenburg: Robotische Systeme bieten wertvolle Lösungsansätze für die Pflege, Pressemitteilung vom 12.05.2023, unter: https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/pressemitteilungen/de/2023/05/110523-Robotik.html (abgerufen: 12.06.2023)
9. Verbundprojekte. unter: https://www.pflege-und-robotik.de/projekte/ (abgerufen: 12.06.2023)
10. Deutscher Ethikrat. Robotik für gute Pflege. Stellungnahme. März 2020, unter: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-robotik-fuer-gute-pflege.pdf (abgerufen: 12.06.2023)
11. Pflegenotstand: Digitalisierung hilft mehr als Robotik. Bayerischer Rundfunk. 14.05.2023, unter: https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/pflegenotstand-digitalisierung-hilft-mehr-als-robotik,TeDgk04 (abgerufen: 12.06.2023)
12. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Entwurf eines Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz – PUEG) Drucksache 20/6544. Stand: 25.04.2023, unter: https://dserver.bundestag.de/btd/20/065/2006544.pdf (abgerufen: 12.06.2023)