Pflege im Wandel auf dem „Pflegegipfel des Nordens“

© Midjourney

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von Jan Hinnerk Timm


Am 4. und 5. November fand der 21. Gesundheitspflege-Kongress im Hamburger Radisson-Blu Hotel statt. Für die traditionsreiche Veranstaltung des Springer Medizin Verlags hat sich mittlerweile die Bezeichnung „Pflegegipfel des Nordens“ etabliert.  
 

 

Im Namen des Springer Medizin Verlags begrüßte der Director der Congress Organisation Falk H. Miekley im Rahmen der Auftaktveranstaltung die Anwesenden und dankte den Ausstellern und Kooperationspartnern. Er hob hierbei insbesondere das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein hervor, die beide den Kongress seit 21 Jahren begleiten und somit wesentlich zur Entwicklung und Etablierung des „Pflegegipfel des Nordens“ beigetragen haben.

„Gehen Sie in den Diskurs, bringen sie sich ein“, forderte Miekley die Anwesenden auf: „Nur so können wir die Pflege in Norddeutschland voranbringen.“ Danach stellte er die Vortragenden der Eröffnungsvorträge der diesjährigen Auftaktveranstaltung des Gesundheitspflege-Kongresses vor: Vera Lux, Geschäftsleitung Pflege der Medizinischen Hochschule Hannover und Elizabeth Tollenaere, Vorstandsmitglied des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK). Wie bei dieser Kongressreihe üblich, thematisierten die Eröffnungsvorträge auch in diesem Jahr wieder aktuelle Fragestellungen der Pflege und setzten den thematischen Ton für die kommenden Tage.

 

Das ganze Bild – die internationale Perspektive

Entsprechend griff Lux in ihrem Vortrag mit dem Sozialprestige des Pflegeberufs eine Thematik auf, die derzeit viel diskutiert wird. Sie sieht das Bild der Pflege in der Öffentlichkeit immer noch traditionell geprägt, zudem werde ihrer Ansicht nach die berufliche Kompetenz oft unterschätzt. „Pflegen kann jeder“, höre man manchmal auch von Seiten der anderen Gesundheitsberufe, kritisierte sie. Dabei sei es auch nicht hilfreich, dass es unter den Beschäftigten nur einen geringen Organisationsgrad gibt und das Berufsbild als Ganzes ein uneinheitliches Bild abgebe, so Vera Lux weiter.

Im Ausland beobachte sie hingegen einen ausgeprägteren Berufsstolz. Ausdruck davon sei die dortige Erkennbarkeit professionell Pflegender – beispielsweise in China oder Japan – an einer einheitlichen Tracht, teilweise mit Abzeichen oder sogar Markierungen, die auf die jeweiligen Kompetenzen hinweisen. Frau Lux wünscht sich für Deutschland zukünftig ein positiveres, selbstbewusstes Rollenverständnis in der Pflege, für das ihrer Ansicht nach die Ausrichtung am Patienten richtungsweisend sein könnte. Zur Definition der Rolle der Pflege im Gesundheitswesen sollte entsprechend geschaut werden, was der Patient benötigt, und vom wem dies geleistet werden kann, erläuterte sie diesen innovativen Ansatz. Zudem empfahl sie eine darauf aufbauende Ausdifferenzierung von pflegerischen Kompetenzen auf dem Weg zu einem selbstbewussteren Berufsbild. Dazu müssten sich aber auch die Strukturen ändern, mahnte Vera Lux an: „Wenn ein System agil sein soll, muss es sich als Ganzes ändern, nicht nur eine Berufsgruppe.“

Auch in dem zweiten Eröffnungsvortrag wurde ein Blick ins Ausland geworfen. Elisabeth Tollenaere vom Institut für Pflegewissenschaft am Freiburger Universitätsklinikum absolvierte ihre Pflege- und ihre Hebammenausbildung in Australien und hat dort auch einige Jahre unter anderem als Stationsleitung gearbeitet. Seit 2021 ist sie Mitglied des Vorstands des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DbfK).

Ihrer Ansicht nach führt ein neidischer Blick ins Ausland den Diskurs nicht weiter, denn die Probleme seien überall auf der Welt dieselben. „Es existiert kein magisches ausländisches Pflegesystem“, so Frau Tollenaere. Wichtig wäre es allerdings, eine internationale Perspektive einzunehmen und andere Gesundheitssysteme in den Blick zu nehmen, um gute Ideen aufzugreifen. Dafür sollte die Pflege ihrer Ansicht nach in einen internationalen Austausch eintreten, in den jedes Land seine besten nationalen Konzepte einbringt. „Wir gehören einer global tätigen Berufsgruppe an, die überall vor denselben Herausforderungen steht und die gleichen strategischen Ziele hat, egal wo auf der Welt wir uns befinden“, appellierte Frau Tollenaere. Die Bereitschaft, neue Gedanken unmittelbar umzusetzen, sei ihrer Beobachtung nach in anderen Ländern stärker ausgeprägt, während eine neue Idee ihrer Erfahrung nach in Deutschland erst voll entwickelt sein muss, bevor sie eine Chance bekommt.

Als interessante Aspekte, die deutsche Pflege um internationalen Diskurs beisteuern könnte, benannte Frau Tollenaere die in Deutschland stark entwickelte ethische Perspektive, die Bereitschaft zum Schutz der persönlichen Rechte und demokratischer Prinzipien sowie die organisatorischen Erfahrungen mit der Aufnahme von Flüchtlingen.         

  

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Eine erste Zwischenbilanz zur Generalistik

Unter Moderation von Carsten Drude vom Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe (BLGS) thematisierte eine Gruppe aus Praktikern, Pflegepädagogen und Praxisanleitern aus verschiedenen pflegerischen Disziplinen in der Podiumsdiskussion die Erfahrungen mit den ersten Jahrgängen der generalistischen Pflegeausbildung.

Nach einem Einführungsvortrag der Referentin für Jugend und Ausbildung des DbfK Nordwest Christine Zink und themenbezogenen kurzen Impuls-Statements aller Panel-Mitglieder trat die Expertengruppe in einen lebhaften Austausch mit den zahlreichen Teilnehmern ein.

Frau Zink erläuterte einleitend, dass sich der Ausbildungsaufwand im Zuge der Einführung der generalistischen Ausbildung auf Seiten der Arbeitgeber erheblich erhöht hat. Zum einen liegt das daran, dass mit den neuen Rahmenausbildungsplänen erstmals eine Mindestzeit für praktische Anleitung vorgeschrieben ist. Zum anderen benötigt insbesondere die nun nötige Erstellung der jeweiligen Ausbildungspläne in Abstimmung mit den Schulen viele Ressourcen. In der verstärkten Kommunikation von Schule und Ausbildungsbetrieb spiegele sich einer der grundlegenden konzeptionellen Gedanken der generalistischen Ausbildung.

Für die Absolventen ergibt sich hingegen laut Befragungen eine höhere Flexibilität im Berufsleben, eine Verbesserung der internationalen Anschlussfähigkeit sowie eine gesteigerte Professionalisierung.

Eine aktuelle Umfrage unter Auszubildenden ergab, dass sich mit 56 % nur etwas mehr als jeder zweite Auszubildende die Arbeit in der praktischen pflegerischen Versorgung als tatsächliches Berufsziel vorstellen kann. Dass zudem ein erheblicher Anteil auf eine wissenschaftliche Karriere abzielt, wurde hingegen als gutes Zeichen gewertet, denn der Wissenschaftsrat forderte bereits vor über zehn Jahren für die Pflege eine Akademisierungsquote von 10-20 %.

 „Davon sind wir noch weit entfernt“, mahnte Frau Zink. Aktuell liegt der Anteil zwischen 1,25 % und 2 %. Die Rückmeldungen aus der Praxis haben auch die Fachkommission nach dem Pflegeberufegesetz erreicht, die Rahmenlehr- und Rahmenausbildungspläne für die generalistische Ausbildung erarbeitet hat. Entsprechend wird im Zuge des kommenden Pflegestudiumstärkungsgesetzes (PflStudStG) bereits im kommenden Jahr mit Anpassungen und Aktualisierungen gerechnet.

 

Brückenschlag zwischen Berufspolitik und Praxis

Traditionell gibt der Gesundheitspflege-Kongress auch der Berufspolitik eine starke Stimme. Entsprechend informierte eine gutbesuchte Veranstaltung des DBfK am zweiten Kongresstag über die neuen Aufgabenbereiche für die Pflege. Mehrere Referenten stellten neue berufliche pflegerische Ansätze vor und traten anschließend unter Moderation von Stefan Schwark, dem Referenten für öffentliche Kommunikation des DBfK Nordwest, in eine Diskussion mit dem Publikum ein.

DBfK-Mitglied Patrizia Drube informierte eingangs über die Arbeit und die Forderungen des Berufsverbandes und nahm künftige Entwicklungen in den Blick. Hierbei beleuchtete sie insbesondere erweiterte Möglichkeiten, zukünftig eigenverantwortlich und ohne ärztliche Anweisung pflegerische Handlungen durchführen zu können. Bisher ist dies lediglich im Rahmen von Modellprojekten gesetzlich verankert und im Rahmen bestimmter Diagnosen möglich. „Diese Möglichkeit gibt es seit zehn Jahren, und bisher gibt es genau ein Modellprojekt“, kritisierte Frau Drube. Inzwischen hat der Gesetzgeber daher nochmal nachgebessert und die Krankenkassen in diesem Zusammenhang stärker in die Pflicht genommen. Obwohl noch keine großen Erfolge erkennbar sind, sieht sie die Pflege derzeit auf einem guten Weg, für sich eine neue Rolle mit deutlich erweiterten Kompetenzen im Gesundheitssystem zu finden.

Die Perspektive junger Berufsanfänger wurde anschließend von Lili Mallée vorgestellt, die im letzten Jahr ihre Pflegeausbildung und ihr Bachelorstudium an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften abgeschlossen hat. Ihrer Ansicht nach hat das „lebenslange Lernen“, also die beständige Weiterqualifikation, für junge Pflegende einen hohen Stellenwert, aber oft stoße die Umsetzung des Erlernten in der Praxis schnell an Grenzen, da ihrer Erfahrung nach im Pflegealltag dafür zu wenig Zeit ist.

Lili Mallée erläuterte, dass für ihre Generation ein berufliches Selbstbewusstsein mit dem Erschließen neuer pflegerischer Handlungsfelder einhergehe, aber auch die eigene Gesundheit stärker im Fokus steht und daher oft von Berufsanfängern die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung genutzt werde. Ein grundsätzlicher struktureller Wandel ist ihrer Ansicht nach Voraussetzung für die Erschließung neuer Handlungsfelder in der Pflege.

Anschließend stellte Annette Müller ein interessantes Wirkungsfeld abseits der üblichen Berufsbilder vor. Die Kinderkrankenschwester arbeitet als School Nurse an der Hamburger International School, ein Job mit regelmäßiger Arbeitszeit von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags. Die beiden an der Privatschule tätigen School Nurses sind hierbei in einem großen Sozialteam eingebunden, in dem sie unter anderem mit Sozialarbeitern und Psychologen zusammenarbeiten. Anhand einiger anschaulicher Fälle stellte Frau Müller ihren typischen Arbeitsalltag dar. Es wurde hierbei deutlich, dass es sich bei der School Nurse um ein Berufsbild mit hoher Eigenverantwortung handelt, bei dem auch abseits von rein medizinischen Fragestellungen manches persönliche Problem der kleinen Patienten „behandelt“ werden muss.

Der folgende Vortrag nahm erneut den stationären Bereich in den Blick und stellte den Wirkungsbereich einer Advanced Practice Nurse (APN) vor. Lea Kauffmann ist Gesundheits- und Krankenpflegerin und hat berufsbegleitend ein Bachelorstudium absolviert. Ihrer Ansicht nach hat ihr Public-Health-Studium ihren beruflichen Horizont dabei erheblich erweitert. Im Jahr 2017 wurde sie die erste APN an der Medizinischen Hochschule Hannover. In den folgenden Jahren konnte sie dort das Aufgabenfeld einer APN prägen und ausgestalten. Bei der Ausgestaltung der Rolle orientierte Kauffmann sich insbesondere daran, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. Coaching von Patienten und Angehörigen, Fallbesprechungen sowie das Angebot einer niedrigschwelligen und aufsuchenden Beratung sind somit typische Aufgabenfelder für eine APN im stationären Setting, so Kauffmann.

Gemeinsam mit Elizabeth Tollenaere vom DbfK-Bundesvorstand stellten sich die Vortragenden anschließend der Diskussion mit dem Publikum. Hierbei wurden viele der Anregungen der gehörten Beiträge von den Zuhörern erneut aufgegriffen und um einige Aspekte aus der Praxis und persönliche Erfahrungen erweitert.

Fazit

Der „Pflegegipfel des Nordens“ ist seit vielen Jahren eine feste Größe im „Pflegejahr“ und bot den Besuchern auch in diesem Jahr wieder reichlich Gelegenheit zu Information und Austausch. Dafür sorgten nicht zuletzt die mehr als 70 hochkarätigen Referenten, die Wissenswertes zu aktuellen Pflegethemen präsentierten. Neben Workshops, Vorträgen und Panels wurde den fast 1000 Teilnehmern sogar ein inspirierender Science Slam geboten, der auf unterhaltsame Weise Einblicke in die junge Pflegewissenschaft ermöglichte. Der 22. Gesundheitspflege- Kongress wird am 8. und 9. November 2024 erneut in Hamburg stattfinden.

 

 

 

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