von Martin Motzkus
In meinem letzten Beitrag habe ich das Thema Marketing beleuchtet. Da Sprache in der Werbung eine große Rolle spielt, ist es naheliegend, sich nun auch einmal diesem Thema zu widmen. Hierbei meine ich die Kommunikation zwischen Betroffenen mit chronischen Wunden und ihren Therapeuten.
Die Wirkung des gesprochenen Wortes
Wir alle sprechen täglich miteinander und übereinander und bekommen die Auswirkungen des gesprochenen Wortes oftmals unmittelbar zu spüren. Eine freundliche Ansprache, ein netter Gruß oder ein Lob können einem selbst auf diese Weise den Tag versüßen helfen. Andersherum wirken Worte gelegentlich wie eine Waffe, wenn sie Menschen angreifen, verletzen oder beleidigen.
Sicher ist es Ihnen klar, dass die richtige Wortwahl auch bei der Kommunikation mit Patienten eine Rolle spielen kann, wenn es um Erfolg oder Misserfolg einer Therapie geht. Die richtigen Worte können die Wirkung unserer Maßnahmen verstärken oder abschwächen, Patienten ermutigen oder demotivieren, ihnen Hoffnung machen oder diese zerstören. Dabei spielt aber nicht nur die Wahl der richtigen Wörter eine große Rolle, sondern auch das „Drumherum“: Tonfall, Lautstärke, Geschwindigkeit Körperhaltung, Mimik, Gestik und auch die Umstände/das „Setting“ in dem die Worte ausgesprochen werden, entscheiden über deren Wirkung auf den Zuhörer.
Worte können die Wirkung unserer therapeutischen Maßnahmen verstärken oder abschwächen
Keine Sorge, das soll jetzt kein Grundkurs in patientengerechter Kommunikation werden. Mir geht es heute um die Aufmerksamkeit, die wir unserer eigenen Sprache schenken sollten, weil wir immer wirken, wenn wir sprechen. Genau genommen wirken wir natürlich auch wenn wir gerade nicht sprechen, denn auch Schweigen oder stilles Zuhören haben natürlich einen Effekt und können als Kommunikationsmittel zielgerichtet eingesetzt werden.
Wir sollten uns bewusst sein, dass wir die Art und Weise, wie unsere Worte wirken, in der Hand haben und dass die Effekte, die sich aus den gesprochenen Worten ergeben, Teil unserer Arbeit sind. Das gilt für Wundpatienten genauso wie für Menschen mit anderen Erkrankungen oder für Gespräche mit Kollegen, Freunden und der Familie. Dabei geht es heute nicht um manipulative Effekte, sondern um die bewusste Wortwahl und die Wahrnehmung deren Wirkung. Besonders eingehen möchte ich dabei auf die sogenannten Placebo- und Nocebo Effekte.
Placebo und Nocebo
Das Wort Placebo leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet „ich werde gefallen“. Bekannt ist dieser Begriff vor allem aus der Medizin, weil er dort eine wichtige Rolle zur Überprüfung der Wirksamkeit von neuen Medikamenten im Rahmen von Placebo-kontrollierten Studien spielt. Hier bedeutet Placebo, dass es sich um ein Scheinmedikament handelt, das keinen Wirkstoff enthält. Von einem Placeboeffekt spricht man also in diesem Zusammenhang, wenn eine Wirkung auftritt, die eigentlich nicht zu erwarten war, weil kein adäquater Wirkstoff eingesetzt worden ist. Tatsächlich tritt dieser Effekt aber auch noch deutlicher ein, wenn ein Medikament eingesetzt wurde, dessen Wirkung hinreichend bekannt ist. Die Art und Weise, wie das Medikament verabreicht wird, begleitende Worte, das bestehende Vertrauensverhältnis zum Therapeuten und viele andere Umstände können nämlich bekanntermaßen die Wirkung eines Medikaments enorm verstärken.
Leider gilt dieses auch für den negativen Fall. Von einem Nocebo-Effekt (lateinisch für „ich werde schaden“) spricht man dann, wenn die Wirkung in negativem Sinne verstärkt wird.
Fallbeispiele
Ein Beispiel aus meiner jüngeren beruflichen Praxis, bei dem ich ungewollt Zuschauer sein durfte: Ein Arzt betritt ein Patientenzimmer im Krankenhaus, um einem Patienten eine Venenverweilkanüle zu legen. Ihm soll anschließend ein Schmerzmittel verabreicht werden, Arzt und Patient kannten sich im Vorfeld, es herrschte ein vertrautes Verhältnis. Da der Patient akut unter Schmerzen litt, ist anzunehmen, dass ihm das Erscheinen des Arztes und die Gabe einer Infusion zur Schmerzlinderung sehr willkommen waren. Lange Rede, kurzer Sinn: Mit geübtem Handgriff und unter beständigem Small Talk fand der Eingriff routiniert statt, und die bereitgestellte Infusion wurde auch sogleich angeschlossen. Obwohl die Wirkung des Schmerzmittels erwartungsgemäß erst nach 15 Minuten eingesetzt hätte, entspannte sich der Patient sichtbar, lächelte sogar ein wenig und es war deutlich zu erkennen, dass es ihm sofort besser ging. Eine klassische Placebo-Wirkung hatte eingesetzt, die Wirkung des Arztes bestand aus freundlichen Worten, routiniertem, aber auch patientenzugewandten Arbeiten und natürlich wirkte auch seine Funktion als Arzt, der auch symbolisch für das Lindern von Beschwerden oder sogar die Heilung steht.
Leider ist die Geschichte an der Stelle noch nicht beendet, da in der abschließenden Kommunikation durch den Arzt ein fataler Fehler begangen wurde. Während der Verabschiedung wies er den Patienten mit folgenden Worten auf eine bekannte Nebenwirkung des Medikaments hin: „Sollte Ihnen davon übel werden, melden Sie sich bitte!“
Hier setzte nun, für den sorgfältigen Beobachter deutlich sichtbar, unmittelbar eine Nocebowirkung ein. Der Patient verzog das Gesicht, es war erkennbar wie unwohl es ihm bei der Vorstellung war, dass dieses Medikament Übelkeit verursachen könnte. Wenngleich die medikamentöse Nebenwirkung kaum hätte eingetreten sein können, so war sie bereits jetzt für den Patienten deutlich spürbar. Sein Gesicht sprach Bände.
Man könnte sagen, dass auch hier das Vertrauen in den Arzt maßgeblich war, damit eine solche Wirkung einsetzen konnte. Auch der abschließende Hinweis, dass Übelkeit nur sehr selten vorkomme, minderte die Wirkung dieser Worte nicht. Dem Patienten war es nun tatsächlich regelrecht übel. Im Verlauf nahmen auch die Schmerzen wieder zu, der Nutzen der Medikamentengabe war dahin. Das Vertrauen auch!
Was können wir aus diesem Beispiel lernen? Unsere Wirkung auf die uns anvertrauten Patienten ist vielfältig und findet auf vielen Ebenen statt. Neben der Wahl unserer Worte und der Art und Weise, wie wir mit Ihnen sprechen, sind Mimik und Gestik gleichermaßen bedeutsam. Wir können die Wirkung unserer Maßnahmen durch die Wahl unserer Worte verstärken, aber eben auch abschwächen oder sogar ins Gegenteil verkehren
Die verlorene Kunst des Heilens
In seinem Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“ beschreibt der jüngst verstorbene Kardiologe und Friedensnobelpreisträger Bernard Lown viele Erlebnisse aus seiner jahrzehntelangen beruflichen Praxis und weist in vielen Beispielen daraufhin, dass das Wort das wichtigste therapeutische Hilfsmittel überhaupt ist. Es könne mächtiger sein als jedes Medikament und Skalpell und sei daher wohldosiert einzusetzen. Menschen ängstigen sich tatsächlich zu Tode, wenn Sprache missverständlich ist.
Ein Fall, den er selbst als junger Assistenzarzt erlebt hatte, beschreibt den Effekt, der bei der missbräuchlichen Verwendung von Abkürzungen entstehen kann. In einer hektischen Visite ließ der schlecht gelaunte Chefarzt fallen, dass es sich bei einer Patientin ja wohl um den typischen Fall von TS handele. Gemeint war eine nicht akut bedrohliche Trikuspidalklappen-Stenose am Herzen. Die betroffene Patientin hörte aufmerksam zu und äußerte nach der Visite gegenüber dem zu diesem Zeitpunkt noch unerfahrenen Dr. Lown, das sei wohl ihr Ende, denn schließlich könne TS ja nur terminale Situation bedeuten. Im Verlauf des Tages verschlechterte sich ihr Zustand, sie litt unter Atemnot. Dr. Lown versuchte, sein Chefarzt dazu zu bewegen, mit der Patientin zu sprechen, um das Missverständnis aufzuklären. Als dieser es schließlich gegen Abend schaffte, die Patientin zu besuchen, war sie an den Folgen eines Lungenödems gestorben. Vielleicht war die negative Erwartungshaltung der Patientin nicht die einzige Ursache, aber zumindest, so die Überzeugung von Dr. Lown, starb die Patientin auch an Hoffnungslosigkeit.
„Das Wort ist das wichtigste therapeutische Hilfsmittel überhaupt. Es könne mächtiger sein als jedes Medikament und Skalpell und sei daher wohldosiert einzusetzen. Menschen ängstigen sich tatsächlich zu Tode, wenn Sprache missverständlich ist.“ – Bernard Lown
Die aufgezeigten Beispiele machen deutlich, dass im Umgang mit unseren Patienten immer wieder Äußerungen getätigt werden, die vielleicht sogar hilfreich gemeint sind, aber negativen Einfluss auf den Behandlungserfolg haben. Gerade auch beim Umgang mit Nebenwirkungen von Medikamenten oder in Aufklärungsgesprächen, zum Beispiel vor operativen Eingriffen, sollten daher immer die Verträglichkeit und der Nutzen in den Vordergrund gestellt werden. Die juristische Verpflichtung, über jedes nur denkbare Risiko aufzuklären, ist einerseits verständlich, richtet aber möglicherweise mehr Schaden an, als Nutzen zu erwarten ist. Auch ist es unnötig, den Patenten vor einer Tätigkeit extra darauf hinzuweisen, dass Schmerzen auftreten könnten. So sind zum Beispiel die Hinweise vor jeder Blutabnahme, dass es jetzt mal pieksen könnte oder auch, dass ein Medikament (nur) eine bestimmte Wirkdauer hat, ist sinnfrei und bedürfen einer kritischen Prüfung.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der sorgsame Umgang mit Sprache und das bewusst positive Auftreten den Nutzen unserer Therapiekonzepte (nicht nur bei Wundpatienten) steigern können. Psychologische Effekte sind sowohl im negativen, aber eben auch im positiven Sinne nicht zu unterschätzen. Im Gespräch mit unseren Patienten ist es daher sehr wichtig sich der Effekte stets bewusst zu sein und sehr auf die Reaktionen der uns anvertrauten Menschen zu achten. Nonverbale Signale zählen genauso dazu, wie kritisches Nachfragen.
„Das Leben eines Patienten kann nicht nur durch die Handlungen eines Arztes verkürzt werden, sondern auch durch seine Worte oder sein Verhalten“. – American Medical Association von 1847
Abschließend sei noch auf einen Schlüsselsatz aus der Gründungsschrift der American Medical Association von 1847 hingewiesen: „Das Leben eines Patienten kann nicht nur durch die Handlungen eines Arztes verkürzt werden, sondern auch durch seine Worte oder sein Verhalten“. Diese Erkenntnis lässt sich sicherlich auf alle Berufsgruppen übertragen und unterstreicht das eben Gesagte.
Lesetipp aus dem WUNDmanagement-Archiv
Placeboeffekte und Wundheilung – helfen Worte bei der Wundbehandlung?
Auch im Kontext der Wundbehandlung sind Placebo- und Noceboeffekte bedeutsam und können vor allem zu patientenberichteten Outcomes wie Schmerz, Juckreiz oder Lebensqualität beitragen.
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