Positionspapier des Deutschen Pflegerats „Fachgerechte Wundversorgung durch pflegerische Kompetenzen“

© iStock.com/lemono

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von Martin Motzkus

Menschen mit chronischen Wunden haben keine Lobby. Sie sind für die meisten Mitarbeitenden in Gesundheitsberufen eher die Ausnahme, weil sie selten im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Abgesehen von spezialisierten Einrichtungen, wie etwa Wundambulanzen oder Wundzentren kommen die Betroffenen in den meisten medizinischen „Settings“ eher am Rande vor. Die Wunde wird, wenn sie also behandelt werden soll, meistens verbunden, das wars, oder? „Platte drauf, Wunde weg“? 

 

Spezialisierte Fachexperten sind da anders. Wir sehen den Menschen als Ganzes. Wir wollen seine Geschichte hören (Wundanamnese), die Ursachen seiner Wundheilungsstörung ergründen und behandeln (kausale Therapie) und wir stellen den Alltag der Betroffenen stärker in den Vordergrund unserer Überlegungen und Konzeptentwicklung (personenzentrierte Wundversorgung). Wer wäre also besser geeignet, die geschätzten 2,7 Millionen Menschen mit chronischen Wunden in Deutschland zu versorgen, als spezialisierte pflegerische Fachpersonen, die sich „ganzheitlich“ um die Betroffenen kümmern?

Fachärzte schrecken vor der Behandlung oft zurück, da die Versorgung dieses Patientenklientel aufwändig ist, es sich finanziell kaum lohnt, ja sogar Regressrisiken mit der zum Teil kostspieligen Versorgung verbunden sind und die ärztliche Ausbildung (bisher) die Thematik chronische Wunden kaum umfasst.

Vor diesem Hintergrund haben sich in den letzten Jahren umfangreiche Änderungen der Gesetzeslage abgezeichnet, die zum Ziel haben, den Weg bis zur geplanten Heilkundeübertragung zu ebnen.

Der Einstieg waren Veränderungen in der häuslichen Krankenpflegerichtlinie (HKP-RL). Zukünftig sollen nur noch spezialisierte Einrichtungen schwer heilende und chronische Wunden versorgen. Die Vergütung soll angepasst werden, dazu laufen derzeit in allen Bundesländern Verhandlungen zwischen Versorgern und Kostenträgern. Damit verbunden ist aber auch eine deutlich bessere Qualifikation, so dass Fort- und Weiterbildung im Bereich der Wundversorgung derzeit einen Boom erleben. Auf dem Weg zu Übertragung ärztlicher Leistungen auf die Pflege im Rahmen der Heilkundeübertragung (§ 63 Abs. 3c SGB V) ist dies aber nur ein erster Schritt. Während die gesetzlichen Voraussetzungen bereits 2012 (!) in Kraft getreten sind, hat sich seitdem in der Umsetzung wenig getan.

Der Deutsche Pflegerat (DPR) hat darum in einem aktuellen Positionspapier Forderungen aufgestellt, die deutlich machen, dass die aktuell gültigen Richtlinien wenig Ansätze bieten, die Versorgungssituation von Menschen mit chronischen Wunden nachhaltig zu verbessern. Hintergrund sind neben den genannten gesetzlichen Veränderungen die bisher fehlende Umsetzung der Heilkundeübertragung und die deshalb vom Gesetzgeber geforderte verpflichtende Umsetzung sogenannter Modellvorhaben (§ 64d SGB V) durch den GKV-Spitzenverband.

An diesem Positionspapier hat maßgeblich auch die Initiative Chronische Wunden (ICW) mitgearbeitet, die ja seit 2022 Fördermitglied des DPR  ist.

Die Delegierten Veronika Gerber (Vorstandvorsitzende der ICW) und Ida Verheyen-Cronau (Leitung der Zertifizierstelle ICW) sowie die Inga Hoffmann-Tischner  (Wundmanagement Köln) als Stellvertreterin vertreten hier klar die Interessen der Pflegefachpersonen aber auch die der betroffenen Menschen mit chronischen Wunden.

 

Was wird gefordert?

Die Forderungen des Positionspapiers umfassen 4 Kernpunkte:

1. Qualifizierungsanforderungen müssen einem einheitlichen aufbauenden Bildungskonzept folgen.

Da die Qualifizierungsanforderungen der aktuell gültigen Richtlinien (siehe oben) wirken, als seien sie nicht aufeinander abgestimmt, ist eine einheitliche Qualifikation der Pflegefachpersonen erforderlich. Die Heilkundeübertragung erfordert ein hohes fachliches Niveau der Pflegenden, die ja auch eine große Verantwortung im Behandlungsprozess übernehmen. Der DPR fordert, dass neben bereits absolvierten Qualifikationsmaßnahmen auch Berufserfahrung berücksichtigt wird. Ein aktuelles Forschungsprojekt des DPR soll hierzu mehr Klarheit verschaffen.

2. Fachgerechte Wundversorgung bedeutet personenzentriertes Handeln statt bürokratischem Verwalten.

Die Heilkundeübertragung soll nicht der ärztlichen Entlastung und der Übernahme derer Aufgaben dienen, sondern zu einer bedarfs- und bedürfnisgerechten Versorgung durch Pflegefachpersonen führen. Insbesondere sollen dazu die bisherigen, sehr bürokratischen Verordnungspraktiken abgebaut werden. Personenzentriertes Handeln bedeutet darüber hinaus auch, dass neben der Wundversorgung der Alltag der Betroffenen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wird. Berücksichtigung der Lebensqualität und des Alltags von Betroffenen sowie edukative Ansätze sollen zur Verbesserung der Versorgungsqualität führen. Das drückt sich auch in der dritten Forderung aus:

3. Die Förderung und Erhaltung des gesundheitsbezogenen Selbstmanagements ist eine zentrale Aufgabe von Pflegefachpersonen.

Gemäß dem Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden (DNQP 2015) steht die „Förderung und Erhaltung des gesundheitsbezogenen Selbstmanagements und des Wohlbefindens der Betroffenen“ im Fokus der Aufgaben professionell Pflegender. Das soll sich laut DPR auch in den Qualifikationsanforderungen und der praktischen Wundversorgung sowie in der Vergütung niederschlagen. Eine Idee zur Querfinanzierung ist die Einsparung von Folgekosten unzureichender Prävention durch den „Ausbau von interdisziplinären Angeboten in Quartieren, wie z. B. Gesundheitskioske oder Primärversorgungszentren durch Beratung und Edukation durch qualifizierte Pflegefachpersonen“

4. Eine fachgerechte Wundversorgung muss produktneutral, wirtschaftlich und bedarfsorientiert sein.

Verantwortung zu übernehmen hat gewisse Risiken für Verantwortliche. Das kann, wie in Arztpraxen, insbesondere wirtschaftlich der Fall sein. Das Budget der Niedergelassenen ist streng limitiert und das Wirtschaftlichkeitsprinzip Gesetz. Das kann im ungünstigen Fall falsche Anreize setzen. Deshalb ist eine Durchmischung von wirtschaftlichen Interessen insbesondere im Bereich der Materialversorgung, etwa mit Wundauflagen und dem hohen Anspruch der pflegefachlichen Qualität problematisch. Aus diesem Grund muss eine zukünftige Vergütungsstruktur so gestaltet sein, dass der bürokratische Aufwand gering ist und die Höhe der Erlöse sich am Bedarf und der geforderten Qualität orientiert.

 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Positionspapier des DPR zum richtigen Zeitpunkt kommt. Als wichtigste Vertretung der angesprochenen Berufsgruppe können die vier zentralen Forderungen die Weichen stellen bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen, unter denen spezialisierte pflegerische Wundversorgung zukünftig geschehen sollte. Nicht nur die eigentliche Wundversorgung kann durch spezialisierte Pflegefachkräfte eigenverantwortlich geschehen, sondern durch personenzentrierte Strukturen werden dabei im besten Fall auch Betroffene und ihre Bedürfnisse sowie deren Alltag und Lebensqualität adäquat berücksichtigt. Pflegerische Kernkompetenzen wie Beratung, Edukation und Kommunikation werden dabei ausreichend berücksichtigt und natürlich entlohnt. Eine spannende Entwicklung, wie ich finde.

 

Das Positionspapier des Deutschen Pflegerats  „Fachgerechte Wundversorgung durch pflegerische Kompetenzen“ können Sie hier downloaden »  

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