von Susanne Moser
7 % weniger Ausbildungsverträge in der Pflege im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr – das meldete das Statistische Bundesamt Anfang April 2023 und verwies zugleich auf die generalistische Pflegeausbildung [1]. Der Deutschen Pflegerat reagierte sofort und stellte deren Vorteile klar [2]. Die Gretchenfrage lautet: Werden junge Menschen durch die „Generalistik“ motiviert oder eher abschreckt, einen Pflegeberuf zu ergreifen? Erste Ergebnisse der „Begleitforschung“ liegen bereits vor und ein neuer Gesetzentwurf nimmt schon die nächste Ausbildungsreform ins Visier [3-5].
Die Pressemitteilung zur vorläufigen Ausbildungsstatistik 2022 unterscheidet sich in ihrer Aussage deutlich von jener des Vorjahres: Im letzten Jahr wurden 52.300 Ausbildungsverträge zur Pflegefachfrau beziehungsweise zum Pflegefachmann abgeschlossen – ein Rückgang um 4.000 im Vergleich zu 2021 [1]. Dagegen lautete die Titelzeile der letztjährigen Pressemeldung: „Ausbildung in der Pflege 2021: 5 % mehr neue Ausbildungsverträge als im Vorjahr“. Zur Einordnung: 2020 waren es 53.600 neue Pflegeausbildungsverträge [6]. Interessantes Detail: In beiden Pressemitteilungen wird – mit mehr oder weniger direkter Bezugnahme auf die jeweils aktuellen Zahlen – auf die reformierte generalistische Pflegeausbildung hingewiesen [1,6].
Vorläufige Zahlen und richtige Einordnung
Dieser Hinweis veranlasste den Deutschen Pflegerat heuer zu einer eigenen Pressemitteilung, in der er klarstellte: Es handle sich um eine vorläufige Statistik, die unter Berücksichtigung anderer Faktoren wie die Auswirkungen der Corona-Pandemie eingeordnet werden müsse. Weiter heißt es: „Die generalistische Pflegeausbildung ist richtig und sie macht Sinn.“ Dafür sprächen die folgenden Argumente: Nachhaltige Sicherung der pflegerischen Versorgung in allen Bereichen, neue Berufschancen für die Absolvierenden und internationale Anerkennung der Ausbildung [2]. Warum braucht es drei Jahre nach ihrer Einführung noch immer ein Plädoyer für die „Generalistik“?
Generalistik-Refresher: Darum geht‘s
Wir erinnern uns: Die rechtlichen Grundlagen für die Reform der Pflegeausbildung wurden im Jahr 2017 mit dem Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) gelegt. Die dreijährige generalistische Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann ist damit seit dem 01. Januar 2020 obligatorisch. Zu den wichtigsten Neuerungen gehören unter anderem:
- Zusammenlegung der bislang getrennten Ausbildungsgänge in der Gesundheits- und Krankenpflege, der Kinderkrankenpflege und der Altenpflege
- Modernisierung der Ausbildungen mit Anpassung an die veränderten Anforderungen
- Abschaffung des Schulgelds und angemessene Vergütung der Auszubildenden
Insgesamt sollte die Reform die Qualität der Ausbildung verbessern und damit die Attraktivität des Pflegeberufs erhöhen – kurz gesagt: Sie sollte helfen, den Pflegefachkräftemangel zu beheben [7]. Wurde dieses Ziel in den ersten drei Jahren Generalistik erreicht? Darüber lässt sich trefflich streiten, wie das Eingangsbeispiel zeigt. Inzwischen gibt es wissenschaftliche Bilanzierungsansätze, um dieser Frage sachlich auf den Grund zu gehen.
Wie ist Ihre Meinung: Wie beeinflusst die generalistische Pflegeausbildung die Berufswahl junger Menschen?
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Bilanz 1: Begleitstudie befragt Auszubildende
Möglicherweise greifen die nüchternen Statistiken zu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen zu kurz, um die komplexen Kriterien der Berufswahl zu verstehen. Wie wäre es, einfach den pflegerischen Nachwuchs direkt zu fragen? Auf diese Idee kam auch der Gesetzgeber und hat mit der Einführung der generalistischen Pflegeausbildung eine dreijährige wissenschaftliche Begleitung (Längsschnittstudie) vorgesehen. Dabei werden ausgewählte „generalistische“ Pflegeauszubildende des Jahrgangs 2020 regelmäßig zu verschiedenen Aspekten ihrer Ausbildung befragt [3]. Die Daten der ersten Längsschnittbefragungswelle wurden im Januar 2023 publiziert. Insgesamt haben 1.267 Auszubildende aus 316 Pflegeschulen und 15 Bundesländern teilgenommen. Die wichtigsten Ergebnisse:
- 77,8 % haben die Ausbildung aus Interesse begonnen („interessengeleitet“).
- Die Gesamtnote für die Ausbildung liegt bei 2,45 (nach Schulnoten).
- Wichtig ist den Pflegeauszubildenden der „Informationstransfer“ von der Pflegeschule in die Praxis und eine gute Praxisanleitung. Beides wird jedoch zu wenig umgesetzt.
So lautet das sinngemäße Fazit der Studienautoren: Es hapert noch mit dem praktischen Ausbildungsteil und der Umsetzung des theoretischen Wissens. Dafür brauche es mehr Unterstützungsangebote [4].
Bilanz 2: Bericht zur „Ausbildungsoffensive Pflege 2019-2023“
Die generalistische Pflegeausbildung ist übrigens ein Teil einer großangelegten Strategie zur Stärkung des Pflegeberufs – der „Ausbildungsoffensive Pflege 2019-2023“. Unter der Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sollen zwischen 2019 und Ende 2023 insgesamt 111 Einzelmaßnahmen umgesetzt werden. Im zweiten Bericht zur Ausbildungsoffensive von November 2022 zieht das BMFSFJ eine positive Bilanz zum Pflegeberuf im Allgemeinen und zur Generalistik im Besonderen. Im Jahr 2020 hatten demnach 57.294 Personen eine generalistische Ausbildung zur Pflegefachkraft begonnen – rund 2 % mehr als 2019, dem letzten Jahr nach der früheren, nicht-generalistischen Ausbildungsordnung. Die Autoren des Berichts rechnen allerdings – anders als das Statistische Bundesamt – mit den „Eintritten in eine Pflegeausbildung“, ohne die wieder aufgelösten Ausbildungsverträge zu berücksichtigen.
Seit Mai 2023 neu auf dem Tisch: das Pflegestudiumstärkungsgesetz
Während man weiter über die Generalistik streitet, bereitet das Bundesgesundheitsministerium schon die nächste Ausbildungsreform vor. Ende Mai 2023 beschloss das Bundeskabinett den Entwurf des Pflegestudiumstärkungsgesetzes (PflStudStG) mit zwei wesentlichen Inhalten:
- „Angemessene“ Vergütung für die Studierenden in der Pflege während ihres gesamten Studiums. Damit soll das Pflegestudium attraktiver werden, da derzeit jeder zweite Studienplatz nicht besetzt sei.
- Vereinfachte Anerkennung von Pflegefachkräften aus dem Ausland.
Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren hat zwar noch nicht begonnen. Es werden jedoch bereits Wetten angenommen, ob diese neue Idee wirksam gegen den Pflegefachkräftemangel sein wird.
Um das Meinungsbild abzurunden, hat die WUND_letter-Redaktion eine der ersten Absolventinnen der generalistischen Pflegeausbildung nach ihren Eindrücken gefragt. Mehr dazu lesen Sie im Interview „Generalistische Pflegeausbildung: Drei Fragen an Sophie Karbe“ »
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Quellen:
- Weniger neue Ausbildungsverträge in der Pflege im Jahr 2022. Pressemitteilung. Statistisches Bundesamt. 04.04.2023, unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/04/PD23_134_212.html (abgerufen: 13.07.2023)
- Vorläufige Zahlen weisen noch Datenlücken auf – Einordnung fehlt. Pressemitteilung. Deutscher Pflegerat. 06.04.2023, unter: https://deutscher-pflegerat.de/2023/04/06/vorlaeufige-zahlen-weisen-noch-datenluecken-auf-einordnung-fehlt/ (abgerufen: 13.07.2023)
- Olden D et al. Die generalistische Pflegeausbildung in Deutschland aus Sicht Auszubildender. Pflege. 2023; https://doi.org/10.1024/1012-5302/a000930.
- Bundesinstitut für Berufsbildung. Begleitforschung des Veränderungsprozesses zur Einführung der neuen Pflegeausbildungen (BENP), unter: https://www.bibb.de/de/136047.php (abgerufen: 13.07.2023)
- Reform der Pflegeausbildung: Studierende sollen künftig Vergütung erhalten. Pressemitteilung. Bundesministerium für Gesundheit. 24.05.2023, unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/reform-der-pflegeausbildung-kabinett.html (abgerufen: 13.07.2023)
- Ausbildung in der Pflege 2021: 5 % mehr neue Ausbildungsverträge als im Vorjahr. Pressemitteilung. Statistisches Bundesamt. 26.07.2022, unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/07/PD22_314_212.html (abgerufen: 13.07.2023)
- Fragen und Antworten zum Pflegeberufegesetz. Bundesministerium für Gesundheit. Stand: 06.03.2023, unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/pflegeberufegesetz/faq-pflegeberufegesetz.html (abgerufen: 13.07.2023)
- Ausbildungsoffensive Pflege (2019–2023). Zweiter Bericht. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, November 2022, 1. Auflage, unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/205226/c027c13b94c48d20ad64b5a4136b5448/ausbildungsoffensive-pflege-zweiter-bericht-2019-2023-data.pdf (abgerufen: 13.07.2023)