Was Hitzeschutzpläne für die Pflege bringen – von Frankreich lernen

© iStock.com/batuhan toker

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von Susanne Moser



Der Juli 2023 war der heißeste Juli seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Mit den Temperaturrekordmeldungen hat sich ein neuer Begriff ins Nachrichtenvokabular eingeschlichen: der Hitzeschutzplan oder auch Hitzeaktionsplan. So gibt es seit Ende Juli 2023 auch einen „Nationalen Hitzeschutzplan“ des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Sein Ziel ist der Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen – vor allem Pflegebedürftiger. Wie sehen diese Pläne aus und was bringen sie wirklich?


„Gesundheitliche Folgen durch Klimaschutz hat für BMG mittlere Priorität“ meldete das Deutsche Ärzteblatt am 20.07.2022 und zitierte eine ranghohe Mitarbeiterin des BMG [3]. Fast genau ein Jahr später titelt die gleiche Fachzeitschrift „Nationaler Hitzeschutzplan soll Zahl der Hitzetoten halbieren“ [4]. Der Hitzeschutz hat also inzwischen einen vorderen Platz auf der gesundheitspolitischen Prioritätenliste erreicht.

 

Hitzeschutzplan des BMG: Darum geht’s

Das BMG verfolgt mit seinem „ersten, konkreten Hitzeschutzplan“ diese vier Ziele [2,5].

  1. Sensibilisierung der Bevölkerung – vor allem vulnerable Gruppen – für Schutzmaßnahmen bei Hitzewellen mit einer intensivierten Aufklärung und einem übersichtlichen Informationsangebot über verschiedene Kanäle.

  2. Reduzierung und Vermeidung von hitzeassoziierten Todesfällen sowie Abmilderung von Krankheitsverläufen. Das heißt konkret: In diesem Jahr soll die Anzahl der Hitzetoten auf unter 4.000 halbiert werden.

  3. Auslösen von Interventions- und Kommunikationskaskaden durch gezielte Warn-Information. Eine Schüsselrolle übernimmt dabei der Deutsch Wetterdienst mit seinen Hitzewarnungen.

  4. Verbesserung und Verbreitung der wissenschaftlichen Evidenz.


Bei der Umsetzung des Hitzeschutzplans ist insbesondere die Hausärzteschaft gefragt. In einer gemeinsamen Initiative sollen sie vor allem vulnerable Gruppen ansprechen und zum Umgang mit Hitze beraten. Das BMG denkt überdies interdisziplinär und plant eine „Konzertierte Aktion Hitze“ gemeinsam mit allen relevanten Akteuren sowie eine „Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA)“ mit zahlreichen anderen Bundesministerien [2,5].


Vulnerable Gruppen: Pflegebedürftige im Mittelpunkt

Bei den oben genannten vulnerablen Gruppen hat das BMG vor allem Pflegebedürftige im Fokus. Im Hitzeschutzplan findet sich eine Liste mit sechs Maßnahmen, die das BMG bereits mit den Pflegeverbänden und Pflegekassen vereinbart hat. Sie reichen von einem sensibilisierenden „Ministerschreiben“ an alle Pflegeeinrichtungen und -dienste bis hin zur Aufforderung an den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen, den Hitzeschutz im Rahmen der Pflegeberatung zu verankern. Im nächsten Schritt plant das BMG, bundeseinheitliche Empfehlung für Hitzeschutzpläne in Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten zu erarbeiten [2]. Wie kommt der Plan bei den Betroffenen an? Eine der ersten Reaktionen hört sich durchwachsen an. Der Sozialverband VdK begrüßt den Hitzeschutzplan des BMG als „längst überfällig“ und kritisiert, dass die Maßnahmen nicht konkret genug seien [5].

Was halten Sie vom neuen Hitzeschutzplan des BMG?

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Vorbild Frankreich: Was lässt sich nach 20 Jahren Hitzeschutzerfahrung abschauen?

Das BMG hat sich bei der Entwicklung seines Hitzeschutzplans vom französischen Nachbarn inspirieren lassen, der als Hitzeschutzvorreiter gilt. So soll sich beispielsweise das Robert Koch-Institut (RKI) bei der Weiterentwicklung seiner Gesundheitsberichtserstattung an Frankreich orientieren [2,7]. Dessen Vorbildrolle geht auf den Hitzesommer 2003 zurück, dem rund 15.000 vor allem alte und alleinlebende Menschen zum Opfer fielen. Der erste französische Hitzeschutzplan mit Maßnahmenpaketen für verschiedene Warnstufen wurde bereits 2004 eingeführt. Es gibt zum Beispiel eine spezielle Hitzeschutz-Telefonnummer, um Sozialarbeiter um Hilfe für gefährdete Menschen in der Nachbarschaft zu bitten. Krankenhäuser und Notfalldienste müssen sich auf hitzebedingte Einsätze vorbereiten. Außerdem müssen Pflegeeinrichtungen die Bewohner für mehrere Stunden in – verpflichtend einzurichtenden – gekühlten, klimatisierten Räumen unterbringen, wenn eine bestimmte Warnstufe erreicht ist. Dieser Hitzeschutzplan wird laufend angepasst und ist auch dieses Jahr verschärft worden [7].

 

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Was bringen Hitzeschutzpläne?

Die entscheidende Frage lautet allerdings: Bringen diese Maßnahmen überhaupt etwas? Die Datenlage gibt Anlass zur Hoffnung. In Frankreich verringerte sich die hitzebedingte Übersterblichkeit in den Jahren nach der Einführung des Hitzeschutzplans in allen Altersgruppen. Besonders profitierten Ältere ab 75 Jahre und Frauen. Andere Länder wie Italien und Spanien verzeichneten nach Einführung von Hitzeschutzplänen einen Rückgang der Gesamtsterblichkeit und der Krankheitslast [8]. Wichtig für die Wirksamkeit von Hitzeschutzplänen ist allerdings, dass sie über die reine Informationsweitergabe hinausgehen. Sie hängt zudem davon ab, wie intensiv und organisiert die einzelnen Maßnahmen umgesetzt werden [9].

Hitzeschutzaktivitäten aus Deutschland

Zurück nach Deutschland, wo man in den letzten Jahren durchaus nicht untätig war. Seit 2017 liegen „Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit“ als Grundlage für Hitzeaktionsplänen vor, die die „Bund/Länder Ad-hoc Arbeitsgruppe Gesundheitliche Anpassung an die Folgen des Klimawandels (GAK)“ erarbeitet hat [10]. Verschiedene Kommunen wie Offenbach haben bereits Hitzeschutzpläne entwickelt oder sie sind gerade im Rahmen von Förderprojekten dabei – darunter Dresden, Erfurt, Köln und Worms. [9] Darüber hinaus gibt es gerade für den Gesundheits- und Pflegebereich eine Vielzahl von Empfehlungen, Hitzehandbücher und Arbeitshilfen – zum Beispiel aus dem Juli 2023 von der Stadt Dresden oder von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG) [11, 12].
Hitzeschutzwissen ist hierzulande also im Überfluss vorhanden. Jetzt muss es nur noch umgesetzt werden.

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Quellen:

  1. Juli 2023: der heißeste Monat aller Zeiten. Deutsche Welle. 08.08.2023, unter: https://www.dw.com/de/juli-2023-der-hei%C3%9Feste-monat-aller-zeiten/a-66473183 (abgerufen: 14.08.2023)
  2. Bundesgesundheitsministerium. Hitzeschutzplan für Gesundheit des BMG. Stand: 27. Juli 2023, unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/H/Hitzeschutzplan/230727_BMG_Hitzeschutzplan.pdf (abgerufen: 14.08.2023)
  3. Gesundheitliche Folgen durch Klimaschutz hat für BMG mittlere Priorität. Deutsches Ärzteblatt. 20.07.2022, unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/136092/Gesundheitliche-Folgen-durch-Klimaschutz-hat-fuer-BMG-mittlere-Prioritaet (abgerufen: 14.08.2023)
  4. Nationaler Hitzeschutzplan soll Zahl der Hitzetoten halbieren. Deutsches Ärzteblatt. 28.07.2023, unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/144893/Nationaler-Hitzeschutzplan-soll-Zahl-der-Hitzetoten-halbieren?rt=f9391caacf52b50437fa4ebf27b9d809 (abgerufen: 14.08.2023)
  5. Bundesgesundheitsministerium. Lauterbach: Besser auf gesundheitliche Auswirkungen von Hitze vorbereiten. 28.07.2023, unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/lauterbach-besser-auf-gesundheitliche-auswirkungen-von-hitze-vorbereiten.html (abgerufen: 14.08.2023)
  6. Hitzeschutzplan: Sozialverband beklagt fehlende konkrete Maßnahmen. Ärztezeitung. 30.07.2023, unter: https://www.aerztezeitung.de/Politik/Hitzeschutzplan-Sozialverband-beklagt-fehlende-konkrete-Massnahmen-441616.html (abgerufen: 14.08.2023)
  7. Frankreich liefert Blaupause für Hitzeschutzpläne. Ärztezeitung. 09.08.2023, unter: https://www.aerztezeitung.de/Politik/Frankreich-liefert-Blaupause-fuer-Hitzeschutzplaene-441812.html (abgerufen: 14.08.2023)
  8. Niebuhr U et al. Die Wirksamkeit von Hitzeaktionsplänen in Europa. Umweltbundesamt. Umwelt + Mensch Informationsdienst. 01/2021, unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/421/publikationen/umid_heft_1_2021-onlineversion.pdf (abgerufen: 14.08.2023)
  9. Hochschule Fulda. Arbeitshilfe zur Entwicklung und Implementierung eines Hitzeaktionsplans für Städte und Kommunen. Stand: Juni 2021, unter: https://www.hs-fulda.de/fileadmin/user_upload/FB_Pflege_und_Gesundheit/Forschung___Entwicklung/Arbeitshilfe_Hitzeaktionsplaene_in_Kommunen_2021.pdf (abgerufen: 14.08.2023)
  10. Bund/Länder Ad-hoc Arbeitsgruppe ‚Gesundheitliche Anpassung an die Folgen des Klimawandels (GAK)‘. Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Bundesgesundheitsbl 2017; 60:662–67, unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00103-017-2554-5.pdf (abgerufen: 14.08.2023)
  11. Dresden. Hitze-Handbuch: Gut vorbereitet auf Hitze. Informationen und Empfehlungen für Beschäftigte im Gesundheits-, Pflege-, Sozial-, Bildungs- und Wohnbereich. Juli 2023, unter: https://www.dresden.de/media/pdf/gesundheit/WHO/SGP_Hitze-Handbuch.pdf (abgerufen: 14.08.2023)
  12. BAG SELBSTHILFE. Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. Hitze: Folgen, Prävention und Schutz. Eine Arbeitshilfe für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen und deren Selbsthilfeverbände. November 2022, unter: https://www.bag-selbsthilfe.de/fileadmin/user_upload/_Informationen_fuer_SELBSTHILFE-AKTIVE/Projekte/Klimakrise_und_Selbsthilfearbeit/FINAL_Arbeitshilfe_zu_Hitzefolgen_und_Hitzeschutz.pdf (abgerufen: 14.08.2023)

 

 

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