Die entsprechenden Empfehlungen der KRINKO sind mit einer Evidenzkategorie II ausgewiesen, weil bis heute eindeutige wissenschaftliche Beweise für den infektionspräventiven Nutzen des KoS fehlen [3, 15]. Die wöchentlich intern gemeinsam mit dem Hygienefachpersonal zu diskutierenden Ergebnisse des KoS stellen den Neonatologen jedoch wichtige Informationen zur Verfügung. Wenn es bei einem intensivmedizinisch behandelten Frühgeborenen zu einer Late-onset Sepsis (LOS) kommt, gilt es, so zeitnah wie möglich eine wirksame empirische Therapie zu beginnen. Hierzu heißt es in der aktuellen AWMF Leitlinie Neugeborenen Sepsis (AWMF-Registernummer 024/008):
„Bei Früh- und Reifgeborenen, die mit multiresistenten gramnegativen Bakterien (MRGN) oder Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) besiedelt sind, sollte die empirische Therapie bei begründetem Verdacht auf eine LOS die Ergebnisse des Kolonisationsscreenings berücksichtigen.“
Insofern hat das KoS eine individualmedizinische Dimension. Allerdings sind die Erreger, die im KoS detektiert werden, keineswegs immer die Erreger der LOS. Nach einer aktuellen Metanalyse [3] recht heterogener Daten von insgesamt 1984 Frühgeborenen entwickeln nur 7,9% der zuvor kolonisierten Kinder im Verlauf eine Blutstrominfektion durch gramnegative Erreger (im Vergleich zu 2,4% der nicht zuvor kolonisierten). Andererseits kann das Auftreten von Erregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen die wirksame Therapie der LOS erschweren [7, 20]. Bis heute wird die Frage, ob Erreger, die intensivmedizinisch behandelte Früh- und Neugeborene besiedeln, mit den in der Blutkultur nachgewiesenen Erregern der LOS korrelieren, kontrovers diskutiert [3, 15, 17]. Sollte dies der Fall sein, so ergeben sich daraus wichtige Implikationen für die Auswahl der empirischen Antibiotikatherapie bei LOS [12, 18]. Ist dies nicht der Fall, kann aus den Ergebnissen des KoS im ungünstigsten Fall eine Übertherapie resultieren (z.B. mit Meropenem bei allen Frühgeborenen, die mit 2 MRGN kolonisiert sind) [5, 14].
Auch wenn eine asymptomatische Besiedlung keineswegs mit einer Infektion gleichzusetzen ist, ebnet die nosokomiale Übertragung bestimmter Erreger den Weg für Infektionsausbrüche auf NICUs [4, 9, 10, 19]. In der Regel stellen bei Ausbrüchen die Früh- und Neugeborenen mit einer Infektion nur einen kleinen Anteil aller Patienten, die mit dem Ausbruchsisolat kolonisiert sind [6].
Da es in der NICU relativ häufig vorkommt, dass die gleiche Erregerspezies bei verschiedenen Patienten nachgewiesen wird, sind die Ergebnisse des KoS mitunter schwierig zu interpretieren. 2013 erschienen konkretisierende Hinweise der KRINKO zur praktischen Implementierung, zur Interpretation der Befunde und zu den krankenhaushygienischen Konsequenzen [1, 8]. Dabei sind eine niedrigschwellige Zusammenarbeit und ein offener Informationsaustausch mit dem zuständigen Gesundheitsamt hilfreich. Auch im internen Sprachgebrauch ist sorgfältig zwischen „Infektionsausbrüchen“ und „vermehrten nosokomialen Übertragungen“ zu unterscheiden. Der Terminus „Transmissionsausbruch“ stiftet eher Verwirrung.
In dieser Ausgabe von Hygiene & Medizin berichten Parohl et al. über eine vermeintliche Häufung nosokomialer Übertragungen von Methicillin-sensiblen S. aureus (MSSA) auf einer Level 1 NICU und die nachfolgende Typisierung der Isolate. Solche Berichte sind extrem hilfreich, wenn es darum geht, die Qualität und Dynamik der Besiedlung von Frühgeborenen auf einer NICU zu verstehen. Selbstverständlich spielt dabei auch die Besiedlung enger Kontaktpersonen (Eltern, ggfls. auch Großeltern) eine wichtige Rolle.
Einige Studien der letzten Jahre belegen – unabhängig von der Frage der Methicillin-Resistenz – einen Nutzen des S. aureus-Screenings bei intensivmedizinisch behandelten Frühgeborenen [2, 11, 13, 16, 21]. MSSA verursachen bei Frühgeborenen viel häufiger nosokomiale Infektionen als die in den Medien so intensiv besprochenen „Superkeime“ MRSA. Insofern ist gut nachvollziehbar, dass die Autoren aufmerksam wurden, als in einem dreimonatigen Untersuchungszeitraum im KoS bei 27 von 101 Patienten MSSA nachgewiesen wurden. Der Bericht zeigt, mit welcher Intensität bereits der begründete Verdacht auf eine vermehrte nosokomiale Transmission bestimmter Erreger gezielte krankenhaushygienische Interventionen nach sich zieht. Die hohe Wachsamkeit und das ganz besondere Engagement des Hygienefachpersonals in der NICU sind grundsätzlich eine begrü.enswerte Begleiterscheinung des KoS.
Leider ist es in den meisten Kliniken nicht möglich, sich in solchen Situationen zeitnah durch eine Typisierung der bei mehreren Patienten nachgewiesenen Isolate Klarheit darüber zu verschaffen, ob es sich um klonal identische oder nah verwandte Isolate handelt. Obwohl moderne Verfahren zur Typisierung in Speziallaboratorien gut etabliert und inzwischen auch zu einem erheblichen Teil automatisiert sind, stehen sie in der klinischen Praxis „am Patientenbett“ nur mit erheblicher zeitlicher Latenz oder gar nicht zur Verfügung. Aktuell sind die Mitarbeiter vor Ort gezwungen auf solche Befunde „blind“ zu reagieren. Wenn eine zuverlässige Typisierung (ggfls. auch nur ein Ausschluss naher genetischer Verwandtschaft) zeitnah verfügbar wäre, könnten über eine gute Basishygiene hinausgehende krankenhaushygienische Interventionen gezielter eingesetzt bzw. eingespart werden. Dies gilt nicht nur für die NICU. Es wäre für die klinische Praxis der Infektionsprävention und -kontrolle ein Quantensprung, wenn durch technische Innovation und eine gezielte Forschungsförderung Erregertypisierungen am Krankenbett unkomplizierter und schneller verfügbar werden.
Prof. Dr. med. Arne Simon Klinik für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Universitätsklinikum des Saarlandes Interessenkonflikt: Der Autor ist Koordinator der KRINKO Arbeitsgruppe „Neonatologische Intensivmedizin“ und war im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie an der Erstellung der AWMF Leitlinie „Neugeborenensepsis“ beteiligt.
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Referenzen
Veröffentlichkeitsdatum: 14.03.2019
Autor: Prof. Dr. Arne Simon
Foto: mhp_medien
Hygiene & Medizin | Jahrgang 44| 03/2019