Das Leben verlängern und zugleich das Altern aufhalten – diese uralte Wunschvorstellung von ewiger Gesundheit und Vitalität scheint mit dem neuen Zauberwort „Longevity“ in greifbare Nähe zu rücken. Jetzt ging sogar die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) in ihrer Jahrespressekonferenz Mitte März 2025 auf das Modethema ein und fragte: Wie viel seriöse Medizin steckt im Lifestyle-Trend Longevity [1]? Immerhin sind bereits geroprotektive Substanzen in der klinischen Erprobung, die den biologischen Alterungsprozesse aufhalten sollen [2]. In Forschungsprojekten wird zudem versucht, mithilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) die Herausforderungen dieser Studien zu meistern [3].
Zunächst eine Begriffsdefinition: Was heißt eigentlich „Longevity“? Bei der „Langlebigkeit“ handelt es sich um ein Bündel von Maßnahmen und Forschungsvorhaben mit dem Ziel, das Leben zu verlängern und dabei bis ins hohe Alter gesund zu bleiben. Die Fachwelt spricht davon, die Lebens- und die Gesundheitsspanne zu verlängern, wobei letzteres die Lebenszeit mit guter Gesundheit meint [1]. Diese Gesundheitsspanne beträgt in der Europäischen Union 80,1 % der durchschnittlichen Lebenserwartung von Männern und 75,4 % bei den Frauen. Umgekehrt bedeutet das: Frauen verbringen ein Viertel ihrer Lebenszeit mit Erkrankungen (und damit gegebenenfalls Pflegebedürftigkeit) – Männer ein Fünftel [4].
Alterungsprozesse als Ursache für Alterserkrankung
Bei der DGIM-Pressekonferenz wurden die wissenschaftlichen Grundlagen der Longevity diskutiert. So hat sich mit der „Geroscience“ inzwischen eine neue Wissenschaftsdisziplin gegründet. Sie postuliert die Grundaussage, dass alle alterstypischen Erkrankungen auf molekulare und zelluläre Marker des Alterns („Hallmarks of Aging“) wie zum Beispiel Telomerverkürzungen zurückgehen [1,5].
Ein typisches Beispiel für diese These sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei denen sich jahrelang Gewebe- und Zellschäden akkumulieren, bis sich die Erkrankungen manifestieren. Umgekehrt besteht die Evidenz, dass kardiovaskuläre Prävention zur Langlebigkeit beiträgt. So ist erwiesen, dass die „Life’s Essetial 8“ der American Heart Association Alterungsprozesse auf molekularer und zellulärer Ebene günstig beeinflussen kann, was in der Folge eine längere Lebens- und Gesundheitsspanne unterstützen kann. Diese „Life’s Essentials 8“ bestehen aus den klassischen Lebensstilmaßnahmen: Ernährung, körperliche Bewegung, Schlafdauer, der Verzicht auf das Rauchen, Kontrolle des LDL-Cholesterins sowie das Management von Gewicht, Blutzucker und Blutdruck [1,6–8].
Arzneimittel gegen das Altern
Longevity geht allerdings über die allseits bekannten Lebensstilinterventionen hinaus. Der nächste Schritt sind Senotherapeutika oder geroprotektive Substanzen. Diese Wirkstoffe sollen direkt das „Altern“ – die biologischen Alterungsprozesse – verhindern, statt „nur“ die alterungsbedingten Erkrankungen lindern. Zu den Senotherapeutika gehören beispielsweise gängige Antidiabetika (Metformin, GLP-1-Rezeptoranaloga), das immunsupprimierende Rapamycin (Sirolimus), das Nahrungsergänzungsmittel Spermidin oder sogenannte Senolytika, die die Apoptose (programmierter Zelltod) „alter“, funktionsuntüchtiger Zellen induzieren. Man ist jedoch erst dabei, die Wirksamkeit dieser Substanzen in präklinischen und klinischen Studien zu untersuchen. Wissenschaftliche Belege gibt es bislang nicht [2].
Künstliche Intelligenz sucht Biomarker zur Vorhersage des Alterns
Diese klinischen Studien zu geroprotektiven Wirkstoffen haben zwei Herausforderungen: Sie dauern lange („Langlebigkeit“) und sie sind komplex. Forschende im Jenaer Leibniz-Institut für Alternsforschung arbeiten derzeit an Biomarkern zur Vorhersage von Gesundheit und biologischem Alter, die auf „Aging Clocks“ basieren. Diese Rechenmodelle mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) nutzen verschiedene molekulare und zelluläre Daten (zum Beispiel die Gesamtheit der Ribonukleinsäuren in einer Zelle), um das Alter vorherzusagen. Dabei wird nach einem artenübergreifenden Biomarker für das Altern gesucht, um beispielsweise die Erkenntnisse aus präklinischen Studien zu geroprotektiven Wirkstoffen, die mit kurzlebigen Labortieren durchgeführt wurden, auf den langlebigen Menschen zu übertragen. Auch in diesem Bereich steht die Forschung erst am Anfang [3].
Zurück zur Eingangsfrage: Wie viel seriöse Medizin steckt im Lifestyle-Trend Longevity? Für einige Maßnahmen zur kardiovaskulären Prävention, wie Lebensstilmodifikationen als wichtiger Beitrag zur Langlebigkeit, besteht Evidenz. Sie sind zugegebenermaßen auch nicht neu. Mit Blick auf die medikamentösen Ansätze bleibt jedoch, die Ergebnisse der laufenden und geplanten klinischen Studien abzuwarten, um zu entscheiden, wie „seriös“ der Longevity-Trend wirklich ist.
Referenzen
1. Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) am 13. März 2025: „Mit Wissenschaft gegen das Altern: Wie viel seriöse Medizin steckt im Lifestyle-Trend Longevity?“ Impulsvortrag von Prof. Dr. Ursula Müller-Werdan
2. Guarente L et al.: Human trials exploring anti-aging medicines. Cell Metab. 2024 Feb 6; 36(2): 354–376.
3. Pressemitteilung des Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI). 04.03.2025: KI-gestützte Altersvorhersage, Sterberisikoanalyse und Bewertung geroprotektiver Wirkstoffe. Internet: https://idw-online.de/de/news848383 (zuletzt abgerufen: 17.03.2025)
4. Eurostat. Healthy life years statistics. Juli 2024, unter: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Healthy_life_years_statistics (zuletzt abgerufen: 17.03.2025)
5. López-Otín C et al.: The hallmarks of aging. Cell. 2013 Jun 6; 153(6): 1194–217.
6. Lloyd-Jones DM et al.: Life's Essential 8: Updating and Enhancing the American Heart Association's Construct of Cardiovascular Health: A Presidential Advisory From the American Heart Association. Circulation. 2022 Aug 2; 146(5): e18-e43.
7. Kumar M et al.: Life's Essential 8: Optimizing Health in Older Adults. JACC Adv. 2023 Sep; 2(7): 100560.
8. Müller-Werdan U et al.: Kardiovaskuläre Prävention im Alter. Z Gerontol Geriatr. 2024 Oct; 57(6): 447–451.
