von Susanne Moser
Nachhaltige Entwicklung bezieht sich nicht nur auf umweltbezogene Ziele, vielmehr müssen die Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichzeitig und gleichberechtigt berücksichtigt werden. Jede dieser drei Säulen hat eine hohe Relevanz für die Pflege“. Dieses Zitat stammt aus dem Vorwort des Doppelkongresses DEWU Deutscher Wundkongress / Bremer Pflegekongresses, der Mitte Mai stattfand. Die Kongressverantwortlichen erweiterten den Nachhaltigkeitsbegriff im Sinne einer umfassenden Ressourcenschonung – vom Personalmanagements bis zur Vermeidung von Überversorgung. Was steckt dahinter?
Mitte Mai 2024 fanden zeitgleich der DEWU Deutscher Wundkongress und der Bremer Pflegekongress statt. Nicht nur im Vorwort, auch im umfangreichen Kongressprogramm findet sich der Begriff „nachhaltig“ in zahlreichen Veranstaltungs- und Vortragstiteln.
Das war Anlass genug für die WUND_letter-Redaktion, den vorliegenden Erkenntnissen zu drei beispielhaften Nachhaltigkeitsthemen der beiden Kongresse nachzugehen:
- Nachhaltigkeit Personalentwicklung / Nachwuchsförderung
- Nachhaltige Arbeitsplätze in der Pflege / gesund bleiben im Pflegeberuf
- Nachhaltiger Umgang mit Ressourcen / Vermeidung von Überversorgung
Nachhaltiges Personalmanagement: Forschungsprojekt und 5-Säulen-Prinzip
Nachhaltige Personalgewinnung in der Pflege ist nicht nur ein Thema für aktuelle pflegepolitische Podiumsdiskussion. Seit vielen Jahren befasst sich auch die Wissenschaft mit Lösungsansätzen, wie der Pflegeberuf für die Pflegenden dauerhaft attraktiv bleiben kann:
- Im Rahmen des Forschungsprojekts „care4care – Fachkräftebedarf in der Pflege im Zeichen von Alterung, Vielfalt und Zufriedenheit“ des Zentrums für angewandte Forschung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (ZAFH) befassten sich zwischen 2017 und 2022 verschiedene Projektgruppen mit der nachhaltigen Fachkräftesicherung in der Pflege. Projektpartner waren die Hochschulen in Esslingen und Ravensburg-Weingarten sowie das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung. Die Projektverantwortlichen identifizierten während der fünf Jahre Laufzeit sechs Schwerpunktthemen und entwickelten Handlungsempfehlungen für die Praxis: Berufliche Bildung, Entlohnung, Arbeitsgestaltung, Organisationsentwicklung, Interessenvertretung und Pflege aus Sicht älterer Menschen [1]. Die Ergebnisse finden sich hier.
- Und schon bereits 2013 stellte die Autorin des Fachbuchs „Nachhaltiges Personalmanagement in der Pflege“, Julia Hornung, ein „5-Säulen Konzept“ vor, mit dem eine nachhaltige Fachkräftesicherung gelingen soll. Bei den darin beschriebenen Nachhaltigkeitssäulen handelt es sich um die Bereiche
- Gesundheitsmanagement (präventive und kurative Maßnahmen),
- lebenslanges Lernen (zum Beispiel altersgruppengerechte, individuelle und gruppenbezogene Maßnahmen),
- Organisation und Arbeitsgestaltung (zum Beispiel Umgang mit Zeitdruck sowie mit körperlich und psychisch belastenden Aufgaben),
- Personal- und Rekrutierungspolitik (darunter Stellenausschreibungen und Auswahlverfahren)
- sowie Führung (beispielsweise führen von altersdiversen Teams) [2]
Diese beiden Beispiele zeigen: Fachleute für Personalmanagement in der Pflege beschäftigen sich schon lange mit der „Nachhaltigkeit“. Lösungsansätze gibt es offenbar viele. Die entscheidende Frage ist allerdings: Wie lassen sich diese Konzepte in der Praxis umsetzen?
Nachhaltige Arbeitsplätze in der Pflege durch Gesundheitsförderung
Das bereits genannte Forschungsprojekt care4care befasste sich auch mit dem Erhalt und der Förderung der psychophysischen Gesundheit von Menschen im Pflegeberuf. Entsprechende Ansätze können helfen, ein vorzeitiges Ende der Berufstätigkeit von Pflegenden zu verhindern und so zur Fachkräftesicherung beitragen. Man setzte dabei unter anderem auf eine altersgerechte Arbeitsgestaltung und auf den Grundsatz „Verhältnis- vor Verhaltensprävention“.
Das bedeutet zum Beispiel: Statt Rückenschule (Verhaltensprävention) eignet sich besser ein systematischer Tätigkeitwechsel (Verhältnisprävention) für Mitarbeitende mit entsprechenden gesundheitlichen Schwierigkeiten. Nach Meinung der Forschungsgruppe können regelmäßige Gefährdungsbeurteilungen der Arbeitsplätze hinsichtlich psychischer und körperlicher Belastungen helfen, geeignete Abhilfemaßnahmen umzusetzen und damit den Rahmen für gesundheitsfördernde – nachhaltige – Arbeitsbedingungen zu schaffen [3].
Nachhaltiger Ressourcenumgang: Mit „Choosing Wisely“ gegen Fehlversorgung
Neben Fragen des Personalmanagements und der Fachkräftesicherung gehört auch die der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen zum Gesamtbild der Nachhaltigkeit. Im ärztlichen Bereich hat sich einigen Jahren die „Choosing Wisely“-Initiative etabliert. Sie wurde 2012 von der US-Fachgesellschaft American Board of Internal Medicine (ABIM) ins Leben gerufen. Sie verfolgt das Ziel, zwischen Ärzten und Patienten eine Diskussion über wirklich notwendige medizinische Maßnahmen anzustoßen. [4] Im Jahr 2015 begründete die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) das deutsche Pendant „Klug entscheiden“. Seither hat diese Initiative zahlreiche Empfehlungen entwickelt, um Fehlversorgung (Über- wie Unterversorgung) in der Inneren Medizin zu vermeiden. Jedes Jahr kommen weitere hinzu. So lautete eine der jüngsten Empfehlungen aus dem April 2024: „Oberflächliche Abstriche von chronischen Wunden ohne klinischen Anhalt für eine Infektion sollen nicht entnommen werden“ [5,6].
„Klug entscheiden“ – ein Nachhaltigkeitskonzept auch für die Pflege?
Im Rahmen von „Klug entscheiden“ werden klassischerweise evidenzbasierte „Top-5-Listen“ veröffentlicht. Sie enthalten medizinische Maßnahmen, die keinen Nutzen oder sogar Schaden bringen beziehungsweise die sinnvoll sind, aber nicht durchgeführt werden. Auf der Website von „Klug entscheiden“ finden sich diese Top-5-Listen für alle internistischen Disziplinen und zahlreiche Versorgungssituationen. Allerdings fehlen explizite Empfehlungen für die Pflege [6].
Einen Schritt weiter ist die schweizerische „Klug entscheiden“-Initiative, die bei den Eidgenossen „Smarter Medicine“ heißt. Sie hat 2019 fünf Empfehlungen für die gerontologische Pflege veröffentlicht. Ihre Kurzfassungen lauten:
- Lassen Sie ältere Menschen nicht im Bett liegen oder nur im Stuhl sitzen.
- Vermeiden Sie bewegungseinschränkende Maßnahmen bei älteren Menschen.
- Wecken Sie ältere Menschen nachts nicht für routinemäßige Pflegehandlungen, solange es weder ihr Gesundheitszustand noch ihr Pflegebedarf zwingend verlangen.
- Legen oder belassen Sie keinen Urinkatheter ohne spezifische Indikation.
- Vermeiden Sie die Verabreichung von Reservemedikationen wie Sedativa, Antipsychotika oder Hypnotika bei einem Delir ohne die zu Grunde liegenden Ursachen zuerst abzuklären, zu eliminieren oder zu behandeln.
Die Details finden sich hier »
Möglicherweise können diese Empfehlungen aus der Schweiz dazu anregen, auch für die pflegerische Versorgung in Deutschland „Klug entscheiden“-Listen zu entwickeln?
Ihre Meinung ist gefragt
4 Nachhaltigkeit in der Pflege … noch mehr Themen
Neben den genannten Beispielen wurden beim DEWU Deutscher Wundkongress und dem Bremer Pflegekongress auch die typischen Nachhaltigkeitsthemen diskutiert, zum Beispiel:
- Klimawandel und Pflege
- Nachhaltigkeit im Krankenhaus
- Nachhaltige Verbandstoffe
Wir können gespannt sein, welchen Stellenwert die Nachhaltigkeit bei den noch anstehenden Kongressen in diesem Jahr einnimmt.
Quellen:
- Hochschule Esslingen. Fakultät Soziale Arbeit, Bildung und Pflege. Fachkräftesicherung in der Pflege – aber wie? Das ZAFH care4care – Handlungsempfehlungen für die Praxis. 2022. unter: https://www.zafh-care4care.de/wp-content/uploads/2022/03/c4c-broschu%CC%88re-webversion.pdf (abgerufen: 19.06.2024)
- Hornung J. Nachhaltiges Personalmanagement in der Pflege – Das 5-Säulen-Konzept. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2013
- Winter MHJ et al., Gesund bleiben – auch in der Pflege. KU-Gesundheitsmanagement 6/2022, S. 44-46, unter: https://www.zafh-care4care.de/wp-content/uploads/2022/06/KU_Gesundheitsmanagement-06_2022.pdf (abgerufen: 19.06.2024)
- American Board of Internal Medicine (ABIM) Foundation. Choosing Wisely, unter: https://www.choosingwisely.org/ (abgerufen: 19.06.2024)
- Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. Initiative „Klug Entscheiden“, unter: https://www.klug-entscheiden.com/einfuehrung/initiative-der-dgim und https://www.klug-entscheiden.com/empfehlungen/uebersicht (abgerufen: 19.06.2024)
- Draenert R, et al. „Klug entscheiden“ in der Inneren Medizin: Acht neue Empfehlungen. Dtsch Arztebl 2024; 19. April 2024, unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/238671 (abgerufen: 19.06.2024)
- smarter medicine - Choosing Wisely Switzerland. Gerontologische Pflege (2019), unter: https://www.smartermedicine.ch/de/top-5-listen/gerontologische-pflege (abgerufen: 19.06.2024)

