Nach dem letzten Artikel im WUND_letter zum Thema Motivation - Kompressionsstrumpf tragen - haben wir einige Rückmeldungen erhalten, die uns bestätigen, dass Euch das Thema am Herzen liegt. Offensichtlich macht es auch Sinn, sich zunächst theoretisch mit dem Thema zu beschäftigen, bevor eine konkrete Umsetzung in der Praxis erfolgen kann. Am Beispiel der täglichen Fußinspektion bei Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom (DFS) wollen wir heute die besonderen Schwierigkeiten der Motivation erläutern.
Natürlich zeigen wir auch, wie trotzdem eine gute Zusammenarbeit mit den Betroffenen und deren Angehörigen gelingen kann. Dr. Gerald Engels, Kölner Fußchirurg (in Rente) und Spezialist für die besonderen Herausforderungen beim DFS formulierte es in seinen Vorträgen häufig so: „Das Überlastungssyndrom des Menschen ohne Neuropathie ist der Schmerz. Bei Patienten mit Neuropathie ist es das Ulkus!“
Damit sind wir direkt bei einem Kernproblem dieser Menschen. Sensorische Störungen verschleiern mögliche Probleme, die dadurch für die Betroffenen oft gar nicht erst zu einem erlebbaren Problem werden. Warum also sollte sich jemand, der seine Füße teilweise nicht mehr spürt, um sie kümmern oder gar die Verantwortung für ihre regelmäßige Kontrolle und Pflege übernehmen?
Ohne jetzt auf die besondere Form der Körperbildstörung, den „Leibesinselschwund“ (das Lieblingsthema von Dr. Alexander Risse, Berlin) einzugehen, führt allein diese Konstellation von Beschwerdefreiheit bis hin zum Problem der fehlenden Wahrnehmung von Körperteilen zu Konflikten. Teil dieses Konfliktes ist natürlich zum Teil das fehlende Wissen oder Verständnis der Behandler, aber auch der Betroffenen. Teil der Problemlösung ist es daher zunächst, das Wissen und Krankheitsverständnis des Patienten zu erfassen und seine bisherigen (Alltags-)Gewohnheiten zu erfassen. Erst dann ist eine sinnvolle Überleitung in den Beratungsteil möglich, da anlassbezogen und in jedem Fall individuell gehandelt wird.
Rolle der Fußinspektion beim DFS
Kommen wir zur konkreten Bedeutung der Fußinspektion beim DFS. Die Betroffenen sollen erfahren, was sich bei ihrem Krankheitsbild an den Füßen verändert hat oder noch verändern kann. Insbesondere soll der Zustand der Haut beurteilt und krankhafte Veränderungen erkannt werden. Im zweiten Schritt geht es dann darum, adäquat zu reagieren. Natürlich geht es darum, Verletzungen zu vermeiden, die zu schweren Wunden oder gar Amputationen führen können. Die Einbeziehung der Betroffenen wird auch als Patienten-Empowerment bezeichnet. Es bedeutet, dass Patienten aktiv in ihre eigene Gesundheitsversorgung eingebunden werden. Dazu gehört die Bereitstellung von Informationen, die es ihnen ermöglichen, informierte Entscheidungen zu treffen [1].
Leider reicht die rationale Einsicht in die Notwendigkeit auf Seiten des Patienten nicht unbedingt aus, um die Maßnahmen auch dauerhaft und erfolgreich umzusetzen. Hier ist es wichtig, Sparringspartner ins Boot zu holen, die helfen können. Das sind natürlich alle Netzwerkpartner im therapeutischen Team, aber auch Angehörige, die motivieren und unterstützen können.
Letztlich muss für eine erfolgreiche Prävention die Fußinspektion zur täglichen Routine werden. Das kann nur gelingen, wenn Abläufe immer wieder besprochen und gezeigt werden. Allerdings muss der Betroffene dazu eine Verhaltensänderung erreichen, wenn er neue Aspekte in seinen Alltag integrieren soll.
Das transtheoretische Modell
Hier kann uns erneut die Wissenschaft weiterhelfen. Das sogenannte transtheoretische Modell in der Psychologie beschreibt den Prozess der Verhaltensänderung in sechs aufeinanderfolgenden Stadien. Das Modell wurde bereits in den späten 1970er Jahren von James O. Prochaska entwickelt und wird vor allem in der Gesundheitspsychologie eingesetzt. [2].
Hier folgt ein Fallbeispiel, der einen für das Modell typischen Verlauf bei einem Patienten zeigt, der seine diabetischen Füße täglich inspizieren soll:
1. Absichtslosigkeit (Precontemplation):
Der Patient hat keine Absicht, seine Füße täglich zu inspizieren. Er ist sich möglicherweise der Risiken nicht bewusst oder glaubt nicht, dass die Inspektion notwendig ist. Hier können wir ansetzen, ihm die Notwendigkeit zur erläutern, auf Gefahren hinzuweisen und ihn ermutigen, unter Anleitung eine Inspektion vorzunehmen.
2. Absichtsbildung (Contemplation):
Der Patient beginnt, die Notwendigkeit der täglichen Fußinspektion zu erkennen. Er denkt darüber nach, aber hat noch keine konkreten Pläne zur Umsetzung. Auch in dieser Phase ist unbedingt unsere Unterstützung notwendig. Vielleicht ist das schon in einem Folgetermin möglich und er hat sich Gedanken gemacht, wie er die Inspektion anstellen könnte.
3. Vorbereitung (Preparation):
Der Patient plant aktiv, seine Füße täglich zu inspizieren. Er könnte Informationen sammeln, wie die Inspektion durchzuführen ist, und notwendige Hilfsmittel besorgen. An dieser Stelle können wir konkrete Ideen liefern. Beispielsweise könnte eine bebilderte Broschüre die einzelnen Schritte zeigen [3] oder ihm könnten Hilfsmittel wie ein Handspiegel demonstriert werden.
4. Handlung (Action):
Der Patient beginnt, seine Füße täglich zu inspizieren. Er setzt die erlernten Techniken um und integriert die Inspektion in seine tägliche Routine. Erst durch häufiges Wiederholen wird aus dem Gelernten eine Gewohnheit. Die Kunst ist es, jetzt am Ball zu bleiben.
5. Aufrechterhaltung (Maintenance):
Der Patient hat die tägliche Fußinspektion über einen längeren Zeitraum hinweg beibehalten. Er entwickelt Strategien, um die Inspektion auch bei Herausforderungen fortzusetzen. Hier können wir motivierend einwirken, indem wir das Verhalten loben und auch bei Fragen partnerschaftlich zur Seite stehen. Eventuell hat er Schwierigkeiten, für deren Überwindung wir Hilfen anbieten können. Beispielsweise kommt er vielleicht mit dem Spiegel nicht bis zu den Fußsohlen, da könnte ein Teleskopspiegel zum Einsatz kommen, den es im Handel sogar mit LED-Beleuchtung gibt.
6. Abschluss (Termination):
Die tägliche Fußinspektion ist vollständig in den Alltag des Patienten integriert. Er führt die Inspektion automatisch und ohne bewusste Anstrengung durch. Auch hier lohnt es, regelmäßig zu evaluieren. Hierfür eignet sich zum Beispiel der Frankfurter Aktivitätenkatalog der Selbstpflege – Prävention Diabetisches Fußsyndrom (FAS-PräDiFuß), der hier kostenlos erhältlich ist. Damit können auch andere Defizite erkannt und dann zielgerichtet durch Beratung und Edukation angegangen werden.
Fazit
Auch dieses Modell kann uns helfen, Motivator für unsere Patienten zu sein. Wir erkennen durch unser Verständnis für diese theoretischen Zusammenhänge, wo unser Patient steht, und was die nächste Stufe im Veränderungsprozess sein sollte. Die Belohnung besteht am Ende in einer geringen Komplikationsrate und/oder der Vermeidung von Rezidiven.
Wir freuen uns über Eure Erfahrungen mit diesen Patienten und gerne auch über Erfolgserlebnisse. Schreibt uns dazu in die Kommentare.
Referenzen
1. Nationale Versorgungsleitlinie zu Typ-2-Diabetes präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen. Internet: (vgl. Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes Präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen).
2. Eremit B, Weber K: Sechs Stufen der Veränderung. In: Individuelle Persönlichkeitsentwicklung: Growing by Transformation. 2016 Springer Gabler, Wiesbaden. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-09453-9_20.
3. Initiative Chronische Wunden e. V.: Informationsleitfaden: Zeigt her Eure Füße. https://www.icw-shop.de/Angehoerigen-Broschueren/Diabetischer-Fuss--DFS.html
4. Frankfurter Aktivitätenkatalog der Selbstpflege – Prävention Diabetisches Fußsyndrom (FAS-PräDiFuß)
