Stellungnahmen zur S3-Leitlinie zu chronischen Wunden – eine Übersicht

© Midjourney

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von Dr. Barbara Springer

Die Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. hat am 11.09.2023 die nach 11 Jahren aktualisierte S3-Leitlinie zur Lokaltherapie schwer heilender und/oder chronischer Wunden bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus und chronisch venöser Insuffizienz veröffentlicht. In Zusammenarbeit mit 23 Fachgesellschaften und Berufsverbänden wurde ein Grundkonzept entwickelt, das einen Behandlungsalgorithmus zur Optimierung der Therapie dieser Wunden enthält. In die Leitlinie fließen auch die Erfahrungen und Einschätzungen der beteiligten Expertengruppe ein. Ziel ist es, die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu nutzen und fundierte klinische Entscheidungen zu ermöglichen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Leitlinie keine praktische Anleitung im Sinne eines Kochrezeptes bietet, wie dies bei früheren Leitlinien der Fall war. In der Ausgabe 2 der Zeitschrift WUNDmanagement wurden Stellungnahmen von Fachgesellschaften und zwei Professoren (Fachbereiche Chirurgie und Angiologie) veröffentlicht, die hier zusammengefasst sind.  

 

Deutscher Wundrat e. V. (DWR)

Der Deutsche Wundrat (DWR) ist keine medizinische Fachgesellschaft, sondern eine politische Vereinigung, die die Position von Patienten mit chronischen Wunden und deren Behandlern unterstützt. Der DWR betrachtet die neue AWMF S3-Leitlinie zur Lokaltherapie von chronischen Wunden politisch. Die Leitlinie ist von höchster Qualität und berücksichtigt den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse. Ihre Bedeutung erstreckt sich auf verschiedene Bereiche wie die Fachkreise, die medizinische Öffentlichkeit, die regulatorischen Behörden, die Gerichte, die Kassen, die Medien und die Politik. Die Leitlinie bietet eine wichtige Referenz, aber ihre Anwendung ist nicht verbindlich. Es ist entscheidend, ihre Aussagen sachlich korrekt zu interpretieren. Jetzt kommt es darauf an, die Leitlinie so effektiv wie möglich – auch in der öffentlichen Diskussion – zu nutzen und zu verbreiten.

 

Bundesverband Medizintechnologie e. V. (BVmed)

Die aktualisierte S3-Leitlinie zur Lokaltherapie von Wunden wird vom Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) als großen Fortschritt begrüßt, geht jedoch aus seiner Sicht nicht weit genug und weist einige Kritikpunkte auf. Diese beziehen sich auf die Auswahl der Studien zur Evidenz, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen und die tatsächliche praktische Evidenz von Produkten zur Wundbehandlung.
Einer der Kritikpunkte bezieht sich auf den gewählten Endpunkt der Behandlung einer Wunde: der Wundverschluss. Dieser kann und sollte durchaus ein Ziel der Behandlung sein. Aber für bestimmte Gruppen von Patientinnen und Patienten steht dieses Ziel gar nicht im Vordergrund. In der Palliativmedizin geht es beispielsweise oft in erster Linie um eine bessere Lebensqualität.
Der BVMed betont die Notwendigkeit einer breiteren Berücksichtigung der Evidenzlage und kritisiert, dass die Leitlinie nicht immer der praktischen Versorgungsrealität gerecht wird. Es wird empfohlen, die Empfehlungen der Leitlinie weiter zu differenzieren, um den individuellen Bedürfnissen der Patienten besser gerecht zu werden.

WUND-Update-Webinar-2

Prof. Dr. med Stefan Riedl M Sc. (Fachbereich Chirurgie)

Das Ziel der aktualisierten Leitlinie ist es, praxisrelevante Handlungsempfehlungen nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis bereitzustellen. Die Leitlinie basiert hauptsächlich auf Expertenkonsens und weist daher eine begrenzte Aussagekraft für den Alltag der Wundbehandlung auf.

Obwohl ein umfangreiches methodisches Verfahren angewandt wurde, konnten nur in wenigen Fällen studienbasierte Aussagen getroffen werden. Einige Empfehlungen sind sehr allgemein gehalten, während andere sehr konkret sind. Es gibt auch Bereiche, wie bestimmte Wundauflagen, für die praktisch keine signifikanten Studienergebnisse vorliegen. Die fehlende Evidenz in der Wundbehandlung wird durch Expertenkonsens und konsensbasierte Statements kompensiert. Es wird betont, dass die Ursache einer Wundheilungsstörung in den zugrunde liegenden Erkrankungen und anderen Faktoren begründet ist und dass die erfolgreiche Behandlung dieser Grunderkrankungen entscheidend für die Abheilung der Wunden ist. Die Leitlinie legt den Fokus auf den kompletten Wundverschluss als Therapieziel, vernachlässigt jedoch andere mögliche Therapieziele.

Die Leitlinie erwähnt als wichtige Zielgröße „Kosten (nur wegweisend)“ und verliert diesen im Versorgungsalltag von Patienten letztendlich wichtigsten Aspekt fast ganz aus dem Blick. Es ist daher sehr schade, dass ein gesundheitsökonomisch konsentiertes Gesamtkonzept fehlt, um eine wirksame Wundbehandlung zu gewährleisten.

 

Prof. Dr. med Knut Kröger. (Fachbereich Angiologie)

Im Leitlinienreport zu der Leitlinie heißt es unter Punkt 2.1, Begründung für die Auswahl des Leitlinienthemas: „Eine umfassende evidenz- und konsensbasierte Handlungsempfehlung mit Behandlungsalgorithmus wird von den ErstellerInnen dieser Leitlinie als wertvolle Grundlage angesehen, um die Versorgungssituation von Menschen mit Wundheilungsstörungen / chronischen Wunden nachhaltig zu verbessern und die Ressourcen im Gesundheitssystem zielgerichtet einzusetzen.
Diese Begründung für die Auswahl des Leitlinienthemas unterstellt, dass die Versorgungssituation von Menschen mit Wundheilungsstörungen/ chronischen Wunden schlecht ist und die Ressourcen im Gesundheitssystem nicht zielgerichtet eingesetzt werden. Daten, die dies begründen, werden an dieser Stelle nicht geliefert.
Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass es wenig verlässliche Daten zur aktuellen Versorgungssituation gibt. Die Leitlinie liefert Daten zur Häufigkeit von Wunden, die auf Diabetes mellitus und chronischer venöser Insuffizienz zurückzuführen sind, basierend hauptsächlich auf älteren Studien, während es für arterielle Durchblutungsstörungen keine zuverlässigen Zahlen gibt.
In der Leitlinie kommt heraus, wie schlecht unser Wissen über die Versorgungssituation der Patientinnen und Patienten mit chronischen Wunden in Deutschland ist. Auf der eine Seite legt die Leitlinie einen hohen Maßstab an, um die Evidenz der lokalen Wundbehandlung zu bewerten. Sie akzeptiert jedoch gleichzeitig, dass wir über die Versorgungssituation nichts wissen. Vor diesem Hintergrund ist es zweifelhaft, ob die Leitlinie ihr Ziel, die Versorgungssituation von Menschen mit Wundheilungsstörungen/ chronischen Wunden nachhaltig zu verbessern und die Ressourcen im Gesundheitssystem zielgerichtet einzusetzen, erreicht.

Es sollte Ziel sein sollte, die Anzahl von Menschen mit chronischen Wunden in Deutschland zu kennen und die aktuelle Versorgungssituation zu definieren, um die Leitlinienempfehlungen effektiv umzusetzen und Ressourcen zu sparen.

 

Lesetipp
Schwerpunktthema „Die S3-Leitlinie zu chronischen Wunden, Teil 1 in der WUNDmanagement-Ausgabe 2/2024.

Hier geht´s lang »

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