Wunden digital beurteilen: Das Projekt ZIEL und die Zukunft der KI in der Wundversorgung

© Jan Hinnerk Timm

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Jan Hinnerk Timm
 
Die Verwendung digitaler Systeme wird auch in der Wundversorgung immer mehr die Regel So erfolgt die Wunddokumentation beispielsweise heutzutage in der Klinik oft im Rahmen des Krankenhausinformationssystems (KIS) und im ambulanten Bereich sowie in der stationären Langzeitpflege oftmals anhand von Apps. Entsprechend nimmt auch das Fotografieren von Wunden immer mehr zu. Eine häufig bei den gängigen Wunddokumentationssystemen verfügbare Option ist die elektronische Größenbestimmung der Wunde anhand digitaler Fotos. Wie wäre es, wenn die elektronische Unterstützung noch einen Schritt weitergeht und die Wunde erkennen und sogar beurteilen kann? 

 

Der Gesundheitspflegekongress, der jedes Jahr im November in Hamburg das Kongressjahr beendet, rückt traditionellerweise die Pflegethemen der Zukunft in den Fokus. Hierzu gehören insbesondere Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Welche Möglichkeiten der Einsatz der KI bei der Behandlung von Menschen mit chronischen Wunden bietet, erforschte das Projekt ZIEL an der Hochschule Osnabrück.

Nicht nur in der Dokumentation, sondern auch für die Diagnostik, insbesondere von chronischen Wunden, wäre das eine interessante digitale Unterstützung. Auch die AWMF-Leitlinie „Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes Mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz“ sprach bereits im Jahr 2023 diese Möglichkeiten an, forderte aber mehr „Reliabilität, Genauigkeit und Validität“ bei der entsprechenden Software. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt ZIEL ermittelte inzwischen Möglichkeiten und Grenzen der KI-gestützten Beurteilung von Wunden. Auf dem 22. Gesundheitspflegekongress in Hamburg wurden die interessanten Ergebnisse durch Mareike Przysucha von der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Hochschule Osnabrück vorgestellt. 

Können KI-Modelle Wunden unterscheiden?

Neben dieser Hochschule waren die Universität Osnabrück und die Universitätskliniken Essen und Erlangen am Projekt ZIEL beteiligt. Dieses Projekt zielte darauf ab, die Abheilungszeit chronischer Wunden durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zu verkürzen. Hierfür sollte ein „Werkzeugkasten“ entworfen, entwickelt und geprüft werden. Grundlage dafür war das Trainieren der KI auf das Erkennen und Unterscheiden von chronischen Wunden. Hierfür wurde die KI mit vielen Hunderten Fotos von Wunden gefüttert, die jeweils ungefähr zur Hälfte als Diabetisches Fußulkus oder als Ulcus cruris venosum gekennzeichnet waren. Anschließend musste die KI dann anhand ihr unbekannter und ungekennzeichneter Wundfotos die korrekte Wundart angeben.
Dies gelang den verschiedenen genutzten Systemen mit einer erstaunlich großen Präzision von insgesamt mehr als 0,8 – wobei 0 „insgesamt misslungen“, 0,5 „geraten“ und 1,0 „perfekt gelöst“ bedeutet. Als Fazit ergaben die Untersuchungen, dass KI-Modelle Wundtypen also teilweise tatsächlich unterscheiden können. Erstaunlich war, dass sich die Ergebnisse verbesserten, wenn die Wunde auf dem Foto „cropped“, also ohne Kontext dargestellt war, wie Wundumgebung oder Lokalisation.

Vorsicht vor Vertrauensseligkeit

Aber auch abseits der Frage, welche Wundart vorliegt, sind bestimmte Wundmerkmale für Behandler interessant, insbesondere, wenn sie womöglich eine Anpassung der Versorgung notwendig machen. Daher nahm das Projekt ZIEL auch das Thema Wundkomplikationen in den Blick und untersuchte, ob eine KI möglicherweise in der Lage ist, auf Basis eines Trainings Mazerationen zu erkennen. Mareike Przysucha stellte drei Studien vor, in die weit über 1.000 Bilder eingebracht wurden. Auch hier zeigte sich, dass der KI das Erkennen von Mazeration generell möglich ist. Weitere Wundkomplikationen werden untersucht, kündigte Frau Przysucha an.
Die Ergebnisse des Projekts deuten darauf hin, dass die Wundbehandlung zukünftig sinnvoll durch KI unterstützt werden könnte. Allerdings ist dabei der sogenannte „Automation Bias“ zu beachten, also die Neigung, den Aussagen einer Maschine mehr zu glauben, als dem eigenen Urteilsvermögen oder den Einschätzungen von Kollegen und Experten. Die Untersuchungen der Projektgruppe zeigten, dass Erfahrung im Umgang mit Wunden sowie eine entsprechende Weiterqualifizierung die Probanden skeptischer gegenüber den Angaben der KI werden ließ. Deshalb – und weil selbst eine hochtrainierte KI manchmal danebenliegen kann – sind auch in einem zukünftig noch digitaleren Berufsfeld, hochwertige Informationsangebote, Schulungen und Weiterqualifikationen im Bereich der Wundversorgung weiterhin unverzichtbar.

Weitere interessante englischsprachige Veröffentlichungen zum Thema

  • Dührkoop E, Malihi L, Erfurt-Berge C, Heidemann G, Przysucha M, Busch D, Hübner U. Automatic Classification of Wound Images Showing Healing Complications: Towards an Optimised Approach for Detecting Maceration. Stud Health Technol Inform. 2024 Aug 30;317:347-355. doi: 10.3233/SHTI240877. PMID: 39234739.

  • Hüsers J, Hafer G, Heggemann J, Wiemeyer S, Przysucha M, Dissemond J, Moelleken M, Erfurt-Berge C, Hübner U. Automatic Classification of Diabetic Foot Ulcer Images - A Transfer-Learning Approach to Detect Wound Maceration. Stud Health Technol Inform. 2022 Jan 14;289:301-304. doi: 10.3233/SHTI210919. PMID: 35062152.

  • Kücking F, Hübner U, Przysucha M, Hannemann N, Kutza JO, Moelleken M, Erfurt-Berge C, Dissemond J, Babitsch B, Busch D. Automation Bias in AI-Decision Support: Results from an Empirical Study. Stud Health Technol Inform. 2024 Aug 30;317:298-304. doi: 10.3233/SHTI240871. PMID: 39234734.

 

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