von Dr. Barbara Springer
Auch in diesem Jahr veranstaltete das Wundnetz Nordhessen e. V. wieder einen Kongress. Dieser fand am 5. Juni 2024 mit 390 Teilnehmern und 25 Ausstellern im Kongress Palais Kassel unter dem Motto „Wunde goes future“ statt. Beleuchtet wurde unter anderem das aktuelle Thema „Künstliche Intelligenz“ in der Wundversorgung. Die Patientenperspektive wurde eindrucksvoll durch einen jungen Mann mit dargestellt.
Die Komplexität der Querschnittlähmung und „I did it my way“
Der Kongress begann mit einem Vortrag von Dr. Klaus Röhl aus Halle über die Komplexität der Querschnittlähmung und das standardisierte Vorgehen nach einer Wirbelsäulenverletzung. Anhand eines typischen Arbeitstages in seiner Klinik schilderte er, wie die Erst- und Folgebehandlung bei schweren Wirbelsäulenverletzungen abläuft. und dann. Wichtig sind eine schonende Reposition und eine rasche Dekompression der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte.
Lähmungsbedingte Komplikationen können Thrombosen und Embolien, urologische
Harnwegsinfekte, urologische Komplikationen, Kontrakturen, Verknöcherungen, Dekubitus oder psychische Probleme sein, auf die Dr. Röhl im weiteren Verlauf einging. Speziell zum Dekubitus informierte er ausführlich über Druckentlastung (Wechseldruckmatratze), chirurgisches Debridement und Infektbehandlung, Wundkonditionierung (Reduktion der bakteriellen Kontamination und Bildung von Granulationsgewebe), Behandlung von Risikofaktoren und Ernährungsoptimierung, Defektdeckung (plastisch-chirurgische Deckung) und die wichtige Nachsorge.
Robin Bowmann aus Mainz teilte in seinem Vortrag „I did it my way” nicht nur sein Fachwissen über Patientenedukation und Empathie in der Pflege, sondern gewährte den Teilnehmenden auch Einblicke in den Alltag und die Herausforderungen einer Tetraplegie.
Im Alter von 16 Jahren erlitt er bei einem Motorradunfall mehrere Genickbrüche und überlebte, wie er sagt, nur durch ein Wunder. Seitdem hat er von der Schulter abwärts keine Beweglichkeit und kein Gefühl mehr. Unter anderem musste er mehrere Monate im Krankenhaus verbringen, davon mehrere Wochen in einem Bett mit Glaskugeln, in dem er sich kaum oder gar nicht bewegen konnte.
Er zeigte eindrucksvoll, was es wirklich bedeutet, auf der anderen Seite der Wunde zu stehen. Er kämpfte sich zurück ins Leben und ohne seine Hände zu benutzen und erstellte mit Hilfe von Spracherkennung und spezieller Gerätesteuerung seine eigene Website. In Blogs und Beiträgen auf Youtube- und TikTok-Kanälen möchte er über das Leben als Querschnittgelähmter aufklären, anderen Betroffenen helfen und ihnen trotz ihrer Situation Mut machen.
Mehr über Robin Bowman finden Sie unter: www.robin-bowman.de
Verbrennungsbehandlung und Wundversorgung im Wandel der Zeiten
„Fast and Furious – Management komplexer Verbrennungen und ausgedehnter Weichteildefekte“ lautete der Titel des Vortrages von Dr. Markus Öhlbauer aus Murnau. Der Referent wurde online dazu geschaltet. Der Vortrag umfasste 274 Folien und war somit wirklich „Fast and Furious“. Dr. Öhlbauer zeigte eindrucksvoll und umfassend die Möglichkeiten der Versorgung von Schwerbrandverletzten von der Erstversorgung, Ödemreduktion, Verbandwechsel, Sepsisprophylaxe bis hin zur Hauttransplantation und Nachsorge.
Im Beitrag „History of Woundcare“: Von der Antike bis zur Neuzeit, von Dr. med Hans Urbanczyk aus Kassel zeigte sich die Begeisterung des Referenten für die Geschichte der Medizin, speziell der Wundversorgung, die sich über Jahrtausende erstreckt und den Fortschritt in Medizin und Technologie sowie das sich wandelnde Verständnis der menschlichen Gesundheit zeigt.
Schon in der Antike wurden Wunden oft mit natürlichen Mitteln behandelt. Die Ägypter, Griechen und Römer nutzten Honig, Wein und Kräuter, um Infektionen zu verhindern und die Heilung zu fördern. Der griechische Arzt Hippokrates (460–370 v. Chr.) beschrieb detaillierte Methoden zur Wundbehandlung, darunter das Reinigen und Verbinden von Wunden, um Infektionen zu vermeiden. Im Mittelalter stagnierte die medizinische Wissenschaft in Europa weitgehend, während arabische Ärzte wie Avicenna (980–1037) fortschrittliche medizinische Texte verfassten und Methoden der Wundversorgung entwickelten. In Europa wurden Wunden oft mit religiösen Ritualen und einfachen Kräuterheilmitteln oder heißen Ölen behandelt, was die Heilung jedoch nicht immer förderte. Mit der Renaissance begann eine wissenschaftliche Revolution in der Medizin. Ambroise Paré (1510–1590), ein französischer Chirurg, führte neue Techniken in der Wundbehandlung ein, wie die Ligatur von Blutgefäßen anstelle der Kauterisation. Paré erkannte die Bedeutung der sauberen Wundversorgung und nutzte Salben anstelle von heißem Öl zur Behandlung von Schusswunden. Im 19. Jahrhundert revolutionierte die Entdeckung der Mikroorganismen durch Louis Pasteur und die Entwicklung der Keimtheorie durch Joseph Lister die Wundversorgung. Lister führte antiseptische Techniken ein, die das Infektionsrisiko erheblich reduzierten. Verbände wurden sterilisiert, und die Bedeutung der Händehygiene wurde erkannt.
Das 20. Jahrhundert brachte bedeutende Fortschritte in der Wundversorgung. Der Einsatz von Antibiotika, beginnend mit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming (1928), reduzierte die Infektionsrate drastisch. Moderne Verbandsmaterialien wie sterile Gazen, Pflaster und spezielle Wundauflagen wurden entwickelt, um die Heilung zu fördern und das Infektionsrisiko zu minimieren.
Insgesamt zeigt die Geschichte der Wundversorgung eine kontinuierliche Verbesserung und Innovation, die durch ein besseres Verständnis der Biologie und die Entwicklung neuer Technologien vorangetrieben wurde, wie Dr. Urbanczyk in seinem Fazit zusammenfasste.
Was bringt die Zukunft? Innovative Schulungsmethoden und Künstliche Intelligenz
Thorsten Prennig aus Roth stellte in seinem Vortrag „Futured Wound Education - Digital und interaktiv gestützte Trainingsmethoden“ innovative Schulungskonzepte vor, die in der Pflegeausbildung Anwendung finden. Als erstes Beispiel nannte er den „Room of Horrors“, ein Schulungstool, das die Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeit angehender Pflegefachpersonen spielerisch trainiert.
Im sogenannten „Room of Horrors“ wird ein Patientenzimmer mit Fehlern nachgebaut. Dort identifizieren und diskutieren Auszubildende Probleme und Risiken, die die Patientensicherheit gefährden können. Dieses Konzept hat als fester Bestandteil der Pflegeausbildung in vielen Einrichtungen etabliert. Ziel ist es, die Aufmerksamkeit und das kritische Denken der Auszubildenden zu schärfen, indem sie in einer simulierten Umgebung reale Gefährdungssituationen erkennen und analysieren.
Aufbauend auf dem „Room of Horrors“ wurde von Thorsten Prennig ein E-Learning-Modul entwickelt, das die Ausbildung weiter digitalisiert und interaktiv gestaltet. Zusätzlich kommt das „Wundschminken“ zum Einsatz, bei dem Wunden realistisch nachgestellt werden, um die praktische Ausbildung zu intensivieren. Ein weiteres innovatives Tool ist die Augmented Reality-Brille, die es ermöglicht, virtuelle Wunden in einer realen Umgebung zu betrachten und zu behandeln.
Thorsten Prennigs Vortrag verdeutlichte die Bedeutung digitaler und interaktiver Trainingsmethoden in der Pflegeausbildung. Innovative Konzepte wie der „Room of Horrors“ und das „Wundmobil“ tragen maßgeblich zur Verbesserung der Patientensicherheit und Therapieerfolge bei. Die Kombination aus E-Learning, praktischen Übungen und patientenorientierter Schulung bietet ein umfassendes Bildungsangebot, das die Zukunft der Wundversorgung nachhaltig prägen wird.
Der nächste Vortrag auf unserem Kongress wurde von Prof. Dr. Sebastian Probst aus Genf gehalten und widmete sich der Rolle der künstlichen Intelligenz (KI) in der Wundversorgung. In seinem Vortrag stellte Prof. Probst aktuelle Anwendungen der KI vor, wie die 3D-Wundmessung, die Erkennung von Gewebetypen durch Segmentierung der Wunde sowie die KI-gesteuerte Telemedizin.
Obwohl die KI in der Wundversorgung noch in den Kinderschuhen steckt, zeigen erste Anwendungen bereits vielversprechende Ergebnisse. Besonders bei der Diagnostik und Behandlung chronischer Wunden bietet der Einsatz von Algorithmen eine effiziente Ergänzung zur herkömmlichen Methode. Prof. Probst betonte in seinem Fazit, dass KI eine effizientere Arbeitszeitgestaltung ermöglichen kann, jedoch das menschliche Urteilsvermögen und Fachwissen nicht ersetzt, sondern als wertvolles Hilfsmittel zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung in der Patientenversorgung dient.
Prof. Probst präsentierte auch noch erste Ergebnisse einer Studie zur Wundvermessung mit KI. Die Ergebnisse zeigten signifikante Verbesserungen in der Effizienz. Zum Beispiel betrug die durchschnittliche Zeit für die Aufnahme und den Zugriff auf das Wundbild mit dem digitalen KI-Tool 62 Sekunden und war damit deutlich kürzer als mit einer Standard-Digitalkamera. Auch war die digitale Anwendung war 77% schneller und die durchschnittliche Zeit bis zum Abschluss einer Wundbeurteilung wurde um 79% reduziert. Mit der KI-Anwendung erledigte das Personal alle Schritte in etwa der Hälfte der Zeit (54 %).
Das Fazit von Prof. Probst war deutlich: Die Wundversorgung ist bereits auf dem Weg in die Zukunft. KI hat das Potenzial, die Genauigkeit und Effizienz in der Pflege erheblich zu verbessern. Der Einsatz von Algorithmen bei der Diagnostik und Behandlung chronischer Wunden ist ein vielversprechender Ansatz und ermöglicht eine effizientere Arbeitszeitgestaltung. Dennoch wird das menschliche Urteilsvermögen und Fachwissen durch KI nicht ersetzt, sondern unterstützt, um bessere Entscheidungen in der Patientenversorgung zu treffen.
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Die Organisatoren Tanja Lamm und Dr. Simone Urbanczyk-Bertrams bedankten sich noch einmal bei allen Mitwirkenden und luden zum nächsten WUKA am 4. Juni 2025 ein.
