13. Jahreskonferenz der Infection Prevention Society 2021

© iStock.com/SilvanBachman

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13. Jahreskonferenz der Infection Prevention Society
27. – 29. September, Liverpool

zusammengefasst von Dr. Gudrun Westermann

Auch die Jahreskonferenz der Infection Prevention Society (IPS) fand in diesem Jahr als Hybridveranstaltung statt. Einige der Vorträge, die bei der Veranstaltung in Liverpool gehalten wurden, haben wir im Folgenden zusammengefasst:

Infektionsprävention – proaktiv in die Zukunft

Heather Loveday hielt den E.M. Cottrell gewidmeten Leitvortrag und hob besonders darauf ab, dass man aus vergangenen Fehlern lernen müsse. Dabei müsse man auch nicht optimale Vorgehensweisen richtig einordnen und nicht versuchen, alles einem starren System unterzuordnen. Auch mögliche Probleme in der Zukunft könnten vorhergesehen werden, wenn man die Vergangenheit aufmerksam betrachtet und auswertet.
Beispielsweise wurde im Anschluss an die Ebola-Krise 2006 bereits vorausgesagt, dass in den nächsten 10 – 25 Jahren neue Erreger und Varianten bekannter Erreger eine zunehmende Rolle spielen würden, insbesondere solche, die von Tieren auf den Menschen übergehen könnten und die Landesgrenzen überschreiten würden. All dies ist im Rahmen der Corona-Pandemie eingetreten. Man müsse aber jetzt auch weiterdenken und nicht in den Corona-Maßnahmen gefangen bleiben, sagte Loveday. Die Aktivitäten der Infektionsprävention seien hauptsächlich reaktiv, müssten aber vielmehr proaktiv werden und in der Gemeinschaft ansetzen anstatt nur in der Akutversorgung von Patienten.

Dale Fisher berichtete aus Singapur und fragte: „Brauchen wir ein neues Handbuch für die Infektionsprävention bei Ausbrüchen?“ Wie die COVID-19-Pandemie gezeigt hat, ist die Vorratshaltung, z.B. von PSA, als Vorbereitung auf mögliche Gesundheitsbedrohungen nicht ausreichend gewesen. Die bisherige, meist reaktive Vorgehensweise müsse erweitert werden, sagte Fisher. Dazu gehört die Infrastruktur, ebenso wie entsprechend ausgebildetes Personal und auch Strukturen, die Leitungsfunktionen und Koordination übernehmen können.
Auch in Singapur gab es große COVID-19-Ausbrüche in Unterkünften von Saisonarbeitern, wo viele Menschen auf engem Raum und unter schlechten hygienischen Bedingungen leben. Während Epidemien und Pandemien muss auf die Bedingungen, unter denen solche unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen leben, besonderes Augenmerk gelegt werden.
Fisher stellte verschiedene, im Zusammenhang mit COVID-19 aufgebaute Noteinrichtungen vor, deren Räumlichkeiten an akute Bedarfe angepasst werden können – erweitert oder auch in ihrer Funktion verändert.
Fisher betonte, welch wichtige Rolle die Infektionsprävention in allen Bereichen des Umgangs mit solch einer Krise spielt. Wichtig sei immer die Kommunikation und Information – ansonsten werde es nicht gelingen, Maßnahmen gut umzusetzen. In diesem Sinne sind Projekte des Risk Communication and Community Engagement (RCCE) zu sehen, die sich momentan erfolgreich mit COVID-19 beschäftigen, aber zukünftig auch das Management von chronischen Erkrankungen oder Themen der psychischen Gesundheit behandeln sollen.

Judith Breuer stellte Rapid Pathogen Genome Sequencing als Methode der Infektionsprävention und -kontrolle vor. Sie zeigte, dass sich damit Cluster nachweisen ließen, die vom Infektionspräventions-Team nicht als solche erkannt worden waren. Andererseits konnten auch zunächst vermutete Zusammenhänge widerlegt werden. Die Methode ermöglichte also eine viel genauere Zuordnung der Übertragungen und auch die Sicherung nosokomialer Infektionsfälle. Bei einem Influenza-Ausbruch ließ sich beispielsweise nachweisen, dass es zu einer nosokomialen Übertragung durch eine Pflegekraft gekommen war, die auf verschiedenen Stationen eingesetzt war.
Breuer stellte eine Studie an SARS-CoV-2-Patienten vor. Die Sequenzierungsergebnisse von Patienten, die im Krankenhaus symptomatisch geworden waren, wurden mit den Daten von anderen Patienten im Krankenhaus sowie mit Daten aus der Gemeinschaft verglichen. So ließen sich im Krankenhaus erworbene Fälle identifizieren oder ausschließen.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Mehrheit der Patienten sich im Krankenhaus infiziert hatte und Teil eines Ausbruchs war, mit zahlreichen Verbindungen zu anderen Patienten. Es zeigte sich auch, dass die Sequenzierung keinen wesentlichen Einfluss auf Entscheidungen zur Infektionsprävention und -kontrolle hatte.
Zusammenfassend erklärte Breuer, dass die Sequenzierung gewisse Grenzen hat, insbesondere müsste sie automatisiert werden, und die Entfernung zum Labor, wo die Sequenzierung durchgeführt wird, ist ein wesentlicher Faktor. Dennoch seien Ergebnisse, die 5–7 Tage nach der Probennahme eintreffen, immer noch nützlich für das Ausbruchsmanagement.


Masern:  vergessene Bedrohung – zunehmende Gefahr

Steven Pergam aus Seattle sprach über eine „vergessene Bedrohung“ – die Masern. Die Symptomarmut nach Infektion sowie die Inkubationszeit von 10–14 Tagen machen es schwierig, Kontaktpersonen zu identifizieren, und aufgrund der hohen Infektiosität müssen viele Personen in Quarantäne. Pergam zeigte an einem Beispiel, wie viele Personen als mögliche Kontaktpersonen betroffen sein können, wenn ein Masern-Infizierter beispielsweise in eine Notaufnahme kommt. Die R0 für Masern liegt bei 12–18 und damit wesentlich höher als für Influenza, COVID-19 oder Ebola. Die Verbreitung über Aerosole kann in einem Raum bis zu 2 h möglich, nachdem ein Patient den Raum verlassen hat.
2019 sind fast doppelt so viele Fälle in den USA aufgetreten wie jemals in den 10 Jahren davor, nämlich über 1200. Dass die Verbreitung durch Reisen dabei eine Rolle spielt, lässt sich annehmen, wenn man die Orte der Ausbrüche mit der Lage der größten Flughäfen in den USA in Bezug setzt. Oft haben die Ausbrüche mit traditionell lebenden Gesellschaftsgruppen in den USA zu tun, beispielsweise den Mennoniten, Amish-Gemeinden oder orthodoxen jüdischen Gruppen, die oft Impfungen ablehnen.
Weltweit geht die Impfrate bei Masern zurück, so dass das Virus wieder zunehmend auf ungeimpfte Bevölkerungsgruppen trifft. Die Vernachlässigung der Impfung gegen Masern ist durch die COVID-19-Pandemie noch verstärkt worden. Ähnliche Effekte gab es in Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie, in deren Folge die Masernfälle stark anstiegen.
Hinzu kommt, dass es mehr immunkompromittierte Patienten in den Krankenhäusern gibt. Vor diesem Hintergrund wächst die Gefahr durch Masern. Die Impfrate muss daher unbedingt ansteigen – über 90% wären notwendig, um weitere Ausbrüche weitgehend zu verhindern.

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Wasserführende Systeme als Reservoir

„Was haben Babydärme und Geruchsverschlüsse in Siphons gemeinsam?“, fragte Sarah Wright aus Oxford. Sie beschrieb einen Ausbruch auf einer Neugeborenen-Station mit K. pneumonia ESBL. ESBL-Klebsiella pneumoniae-Ausbrüche auf Neugeborenenstationen sind häufig, aber der Genotyp ST-48 ist im Vereinigten Königreich selten. Wright beschrieb die ergriffenen Maßnahmen. Zu den Sofortmaßnahmen gehörten u.a. die Einführung eines ESBL-Screenings, die Überarbeitung der Richtlinien für Antibiotika, die Überprüfung der Reinigung von Inkubatoren. Darüber hinaus wurden die Verlegungen der Patienten analysiert. Auch wurden wiederholte Umweltproben entnommen, darunter auch an hoch frequentierten Stellen und in Siphons, und es wurde eine Ganzgenomsequenzierung (WGS) von Klebsiella pneumoniae-Stämmen durchgeführt. Eine anhaltende Besiedlung mit dem Ausbruchsstamm wurde in Siphons von Waschbecken festgestellt.
Es wurde daher nun besonderes Augenmerk auf das Siphon-Management gelegt, allerdings entschied man sich gegen eine Desinfektion der Siphons, um den Eintrag weiterer resistenter Mikroorganismen nicht zu fördern. Babydärme und Siphons können also beide mit multiresistenten Organismen besiedelt werden. Diese möglichst nicht einzuführen ist wichtig, insofern kommt der Händehygiene und der Siphon-Pflege besondere Bedeutung zu.

Jimmy Walker sprach über die Übertragung von Infektionen durch Wasser. Zwischen 2014 und 2017 bezogen sich ca. 20% der Ausbruchsuntersuchungen zu nosokomialen Infektionen (HAI) auf wasserübertragene, nicht durch Legionellen verursachte Infektionen. Die Kosten sind hoch. Krankenhäuser sind oftmals „kranke Gebäude“, sagte Walker, weil in Leitungen, Abflüssen und Lüftungsanlagen Bakterien persistieren. Beispielshaft stellte er Befunde aus Glasgow vor, wo die Universitätsklinik massive Probleme mit kontaminiertem Wasser hatte. CPE-Ausbrüche konnten auf kontaminierte Siphons zurückgeführt werden, so dass ganze Waschbecken und Abflusssysteme entfernt und ersetzt werden mussten. Dies ist kein Einzelfall, wie Walker anhand weiterer Fallberichte aus Nordirland verdeutlichte. Er erklärte, wo in den wasser-zu- und ableitenden Systemen die Probleme liegen können. In Siphons finde sich oft eine „Mikrobensuppe“, unterstützt durch Produkte, die in Waschbecken hinuntergespült werden und im Siphon hängenbleiben.
Ungewöhnliche Infektionen mit gram-negativen Keimen sollten an wasserübertragene Infektionen denken lassen und entsprechend untersucht werden, sagte Walker. Eine „Wassersicherheitsgruppe“ aus Mitgliedern des Hygieneteams muss eine aktive Rolle im Krankenhaus spielen und Zugriff auf Daten der mikrobiologischen Risikoerhebung haben. Wartung und ggf. Austausch von Teilen im wasserführenden System müssen in einen Wassersicherheitsplan eingebettet sein.

Die Zunahme von Resistenzen steht oft mit den wasserführenden Systemen in Zusammenhang. Joost Hopman aus Nijmegen. Niederlande, sprach über das Risiko, dass in Abflüssen und Duschen besteht und überall, wo sich Wasser- und Luftwege kreuzen. Bei Programmen zur Infektionsprävention wurde in den letzten Jahrzehnten die Betonung auf das richtige Verhalten gelegt, aber weniger auf die Infrastruktur geachtet. Untersuchungen zeigen aber, dass Keime, die z.B. in luftführenden Systemen persistieren, in Krankenhäusern jahrzehntelang Probleme machen und immer wieder zu Ausbrüchen führen können.
Die Geschichte lehrt uns vieles, sagte Hopmans. Analog zur Entfernung der „Cholera-Pumpe“ durch Jon Snow wurde am Radboud Hospital eine Studie durchgeführt, bei der alle Waschbecken aus den Intensivstationen entfernt wurden und die Auswirkungen untersucht.
Es ließ sich eine signifikante Verringerung der Kolonisierung mit Gram-negativen bei den Patienten nachweisen, nachdem die Waschbecken entfernt worden waren. Bei Patienten, die lang auf der Intensivstation lagen, war der Effekt sogar größer. In einem Neubau der Radboud-Klinik, der nächstes Jahr eröffnet wird, wird es in den Patientenzimmern, die alle als Einzelzimmer angelegt sind, keine Waschbecken mehr geben – nur noch in den Badezimmern.
Hopman wies darauf hin, dass im Umgang mit C. difficile evtl. weitere Maßnahmen notwendig sind, um die mechanische Entfernung der Sporen sicherzustellen, z.B. der Einsatz von Desinfektionstüchern. Bei der Betrachtung von luft- und wasserführenden Systemen müssen auch mobile Geräte einbezogen werden.

BSI, CLABSI, SSI und Surveillance

Nina Zhu vom Imperial College London befasste sich mit der Epidemiologie von Blutstrominfektionen (BSI) und untersuchte in der Gemeinde sowie im Krankenhaus erworbene BSI bei COVID-19- und Nicht-COVID-19-Patienten in der Akutversorgung über zwei COVID-19-Wellen und Lockdown-Perioden hinweg.
Analysiert wurden Blutkulturen und SARS-CoV-2-Tests von Patienten, die zwischen Januar 2020 und Februar 2021 in eine Londoner Krankenhausgruppe eingeliefert wurden. Erfasst wurden 1047 BSI, darunter 653 (62,4 %) in der Gemeinde und 394 (37,6 %) im Krankenhaus erworbene. In der Akutversorgung traten die höchsten Inzidenzraten für im Krankenhaus erworbene BSI während der beiden COVID-19-Schübe auf, insbesondere in der Kohorte der elektiven Aufnahmen ohne COVID-19. Bei Patienten, die eine im Krankenhaus erworbene Bakteriämie entwickelten, kam es zu einer um 26,7 % höheren Gesamtmortalität. Auf der Intensivstation stieg die Bettenbelegung von 83,1 % (Status vor COVID-19) auf 157,6 % in der ersten und auf 182,8 % in der zweiten Welle. Bei den auf der Intensivstation aufgenommenen Patienten wurde eine BSI-Rate von 3,1 pro 1000 Patienten-ICU-Tage beobachtet, verglichen mit einer Rate von 0,8 bei den nicht auf der Intensivstation aufgenommenen Patienten. Interessant war, dass der Anteil der COVID-19-Patienten, die BSI entwickelten, bei den mit der B117-Variante infizierten Patienten nicht anders war als bei den mit anderen Varianten infizierten.
Zhu hob hervor, dass die außerhalb des Krankenhauses erworbenen BSI zwischen den Lockdown-Perioden zugenommen haben – möglicherweise ein Anzeichen dafür, dass sich die Patienten zunächst nicht oder erst verzögert beim Arzt vorgestellt hatten. Solche Besonderheiten müssten beachtet werden, um die Surveillance zu verbessern.

Carole Hallam sprach über die Belastung durch katheterassoziierte Infektionen. Harnwegsinfektionen (CAUTI) und BSI gehören zu den häufigsten katheterassoziierten nosokomialen Infektionen. Auch insgesamt haben diese 2020 dramatisch zugenommen, darunter ZVK-assoziierte (CLABSI), CAUTI, beatmungsassoziierte (VAE) und MRSA-Infektionen.
Hallam stellte mehrere Projekte vor, die helfen sollen, die Situation zu bessern. Die DRIPP-Gruppe (Improving Device-Related Infection Prevention Practice) wurde 2018/19 aufgesetzt, insbesondere um mit verschiedenen Fachgesellschaften, darunter auch der IPS, zusammenzuarbeiten. Als größte Herausforderungen wurden u.a. die aseptische Technik, die Surveillance und die Dokumentation identifiziert. Das Legen der Zugänge wird oft an die unerfahrensten Mitarbeiter delegiert, und über 35% davon misslingen.
Daraufhin wurde z.B. eine Leitlinie für Gefäßzugänge entwickelt (Vascular Access Device Pathway; VAD), die sechs Sektionen enthält (Befund, Zugang, Medikation, Wartung, tägliche Prüfung und Entfernung). Auch die Einordnung der Venenqualität hilft, den richtigen Zugang zu wählen. Ebenfalls entwickelt wurde ein VAD-Pass, der die Patienten bei ihren verschiedenen Konsultationen begleitet und die wesentlichen Informationen enthält, damit es nicht durch fehlende Kommunikation zu Fehlern kommt.
Die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachgesellschaften bei diesem Thema ermöglicht es, unterschiedliche Expertise zusammenzubringen und Verbesserungen schneller in die Praxis umzusetzen.

Jon Otter brach eine Lanze für eine besser Surveillance bei SSI (Surgical Site Infections). Oft haben die Patienten nach der Entlassung keinen klaren Ansprechpartner, was im Fall einer SSI zu Verzögerungen bei der Behandlung führt und unnötiges Leid verursacht. Nicht zu vergessen sind die massiven Kosten, die durch SSI verursacht werden. In Zahlen nannte Otter einen Betrag von ca. 5000 Pfund, die jeder Fall kostet.
Weil SSI so häufig sind, spielen sie auch eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und Verbreitung von resistenten Keimen. Anhand einer Studie, die Ergebnisse für unterschiedliche Anstiege von Resistenzen modellierte, zeigte Otter, dass eine Abnahme der Wirksamkeit der perioperativen AB-Prophylaxe um 10% z.B. bei colorektalen Eingriffen schon ein Mehr an Infektionen in einer Größenordnung von über 5000 bedeuten könnten.
Besonders wichtig ist die Surveillance nach Entlassung bei Patienten nach Appendektomie, Brustoperationen. Cholecystektomien und Colon-Chirurgie. Schon ein Foto der Wunde bei der Entlassung trug in einer Untersuchung signifikant dazu bei, die Rate von SSI zu verringern, denn es erleichterte die Beurteilung des Wundzustands erheblich.
Otter erklärte, dass Surveillance breiter aufgestellt werden muss. Die zumindest teilweise automatisierte Surveillance existiert als Idee schon länger, wird sich aber nur mit der elektronischen Patientenakte wirklich umsetzen lassen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen pflegerischen und ärztlichen Berufen sowie Infektiologen, insbesondere im Hinblick auf die perioperative Antibiotika-Prophylaxe, und Fachleuten für die Surveillance an sich (Auditoren etc.) ermöglicht ein wesentlich schnelleres Erkennen und damit eine bessere Behandlung für die Patienten. Der erhöhte Aufwand ist angesichts der Kosten, die SSI verursachen, aber auch angesichts von deren Bedeutung für MRE und auch für die Reputation eines Krankenhauses durchaus gerechtfertigt.

 

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Schutzausrüstung – Sicherheit für Personal und Patienten?

Laura Vincent aus Oxford berichtete über den Beginn der Pandemie und den Umgang mit PSA. Gerade am Anfang der Pandemie gab es viele Fragen – wird es genug PSA geben, und schützt sie ausreichend auch vor diesem neuen Erreger?
Vincent berichtete über einen Anstieg nosokomialer Infektionen bei Intensivpatienten, die vermutlich mit dem Einsatz langärmliger Schutzkleidung in Zusammenhang stand. Durch die erhöhte Belastung und erweiterte PSA wurde außerdem wohl die Händehygiene nicht im vorgeschriebenen Maß beachtet. Gerade mit dem Tragen mehrerer Paare von Handschuhen gab es Probleme; diese wurden nicht gewechselt oder wurden desinfiziert und nach Eingriffen am Patienten anbehalten, wobei andere Oberflächen, z.B. Computertastaturen berührt wurden.
Vor diesem Hintergrund wurde eine Studie mit angepasster Schutzausrüstung durchgeführt: kurze statt langer Ärmel, nur ein Paar Handschuhe, und zwischen Einsätzen bei verschiedenen Patienten wurden Schürzen und Handschuhe ausgezogen und eine Waschung von Händen und Unterarmen vorgenommen. Die Herausforderung lag darin, die Verbreitung multiresistenter Keime mit Hilfe der angepassten Schutzausrüstung und des Händehygieneprotokolls zu verhindern, dabei aber die gleiche Sicherheit in Bezug auf den Schutz vor einer COVID-19-Infektion für das Personal zu gewährleisten.
Zur Kontrolle wurde fluoreszierender Puder genutzt, wodurch nebenbei noch gezeigt werden konnte, dass die übliche chirurgische Händewaschung mit den Händen als höchstem Punkt dazu führte, dass sich der Puder im Ellenbogenbereich sammelte. Insofern wurde die Waschung danach in der anderen Richtung durchgeführt.
Der Vergleich der angepassten mit der vorher üblichen PSA zeigte, dass die residuelle Kontamination abnahm. Nach dem Ausziehen der angepassten PSA zeigten die Teilnehmer allerdings eine stärkere Kontamination als mit der vorher üblichen PSA. Dies warf natürlich Fragen bezüglich der Personalsicherheit auf, aber Vincent betonte, dass eine COVID-19-Übertragung nicht über die Haut erfolgt. Insofern bleibe die Gesichtsmaske das wichtigste Hilfsmittel für den Personalschutz.
Insgesamt war diese Studie auch eine großartige Möglichkeit zum Training, bevor die zweite Welle begann, so Vincents Bilanz. Die Umsetzung in die allgemeine Praxis ist noch eine Herausforderung, z.B. die komplette Umstellung auf eine Versorgung mit kurzärmliger Kleidung, und die Waschung nach jedem PSA-Wechsel kann zudem bei Ekzemen ein Problem darstellen. Hier können alkoholische Desinfektionsmittel evtl. eine Alternative sein.


Infektionsschutz in einer post-pandemischen Welt

Sally Bloomfield erklärte, dass in den 1970er Jahren bereits vorhergesagt wurde, dass man „das Buch der Infektionskrankheiten schließen“ könne. Das Gegenteil ist der Fall, und es stellt sich die Frage, wie man die Öffentlichkeit dazu bringen kann, ihre wichtige Rolle bei der Verhinderung der Ausbreitung von Infektionen wahrzunehmen. Gesundheitsanbieter können nur einen Teil leisten – der Bevölkerung kommt eine wichtige Rolle zu, wie die COVID-19-Pandemie wieder einmal gezeigt hat.
Bloomfield zeigte, an welchen Stellen in der häuslichen Umgebung besondere Gefahren der Infektionsverbreitung bestehen, z.B. über Oberflächen, Wäsche und die Hände.
In vielen dieser kritischen Momente sind Reinigungsprozesse tatsächlich ausreichend, sofern sie für Wasser und Reiniger zugänglich sind. Bei der Händehygiene erhöhen Desinfektionsmittel die Compliance, besonders wo Waschplätze nicht überall verfügbar sind.
Bloomfield zeigte die Ergebnisse einiger Erhebungen, die deutlich machten, dass das Risiko bestimmter Praktiken und Situationen in der Bevölkerung nicht allgemein bekannt ist, und außerdem, dass trotz wahrgenommenem Risiko nicht immer adäquat gehandelt wird, z.B. beim Austausch von Putzlappen in der häuslichen Umgebung. Die zur Hygiene verbreiteten Ansichten sind noch im 20. Jahrhundert verwurzelt, während für das 21. Jahrhundert besonders Risiko-basierte und Public-Health-orientierte Ansätze umgesetzt werden müssen.
Was kann man nun tun? Ein Risiko-Management-Ansatz muss Eingang in das Öffentliche Gesundheitswesen finden, damit sinnvolle Hygienemaßnahmen propagiert und gefördert werden. Dabei spielen Kommunikation und öffentliche Gesundheitserziehung eine wesentliche Rolle, um die Bevölkerung zu sinnvollem Verhalten anzuhalten. Aber auch Regierungsvorgaben müssen sich ändern; ein ganzheitlicher, familienorientierter Ansatz sollte die Basis sein.

Brieze Read von Public Health England stellte die Ergebnisse eine Umfrage zum Wissen über Hand- und Atemwegshygiene vor und verglich diese mit Ergebnissen aus der Zeit vor dem Lockdown. Diese Umfrage wird alle 3 – 4 Jahre durchgeführt. 2021 wurde außer der Reihe eine Umfrage durchgeführt, um den Einfluss der COVID-19-Pandemie zu erfassen.
Bei Fragen zur Händehygiene hatten die korrekten Antworten signifikant zugenommen, so zur Übertragung über Händeschütteln oder zur Wirksamkeit der Händedesinfektion.
Weniger gut waren die Ergebnisse bei Fragen zur respiratorischen Hygiene und Übertragung von Infektionen über Husten und Niesen. Hier könnten unterschiedliche Botschaften zum „richtigen“ Abstand (Angaben zwischen 1 und 2 Metern) zur Verwirrung beigetragen haben.
Insgesamt gab es bei 7 von 10 Fragen eine deutliche Wissenszunahme; allerdings bedeutet dies noch nicht, dass es auch zu Verhaltensänderungen gekommen ist. Nun ist es wichtig, dieses Wissen zu erhalten und Verhaltensänderungen zu fördern, um diesen Fortschritt für die Prävention anderer übertragbare Erkrankungen zu nutzen.

Fiona Branton aus Nottingham beschäftigte sich mit dem Schutz vor Infektionen im Haushalt: Müssen sich die Verhaltensweisen in einer postpandemischen Welt ändern? Ein verbreiteter Glaube ist, dass sich Infektionen über „schmutzige Orten“, beispielsweise Toiletten, verbreiten. Viel häufiger als über solche Oberflächen werden Infektionen von Mensch zu Mensch oder auch über kontaminierte Lebensmittel oder durch den Umgang mit Tieren übertragen. Viel wichtiger als die stündliche Reinigung der Toiletten sei das hygienegerechte Verhalten derer, die sie benutzen, betonte Branton.
Aufklärung tut also Not. Branton erklärte, dass die vor 20 Jahren übliche Sichtweise – dass in der häuslichen Umgebung kein wesentliches Risiko besteht – so nicht mehr gilt. Patienten sind durchschnittlich älter, haben komplexe Kombinationen von Vorerkrankungen, und sind daher anfälliger für Infektionen. Es gibt auch einen höheren Anteil häuslicher Pflege. Der Zeitdruck dabei spielt eine Rolle und kompromittiert möglicherweise die Hygiene, besonders wenn verschiedene Aufgaben von der Körperpflege bis zur Essenzubereitung bei einem Besuch und von einer Person innerhalb kurzer Zeit erledigt werden müssen. Krankenhausaufenthalte werden kürzer, dafür aber evtl. häufiger, und die Patienten bringen z.B. Besiedelungen mit MRE mit ins Krankenhaus. Insofern hat die häusliche Hygiene auch einen Einfluss auf das Gesundheitssystem als Ganzes.
Anhand einiger Beispiele zeigte Branton, dass die hygienischen Anforderungen nicht immer vollständig verstanden werden und dass gut gemeinte Vorgehensweisen falsch sein und zu Fehlern führen können.
Der Aufruf zum Händewaschen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie sei grundsätzlich positiv, sagte Branton. Allerdings wurde nur eine allgemeine Empfehlung zum häufigen Händewaschen ausgesprochen, ohne auf die anlassbezogene Händehygiene einzugehen. Dies wäre aber wichtig für eine nachhaltige Verhaltensänderung, denn der Treiber der ersten Zeit – die Angst vor einer Infektion – ist mittlerweile stark zurückgegangen. Und immer noch herrschen bezüglich der tatsächlich riskanten Situationen signifikante Missverständnisse, und oft folgt nicht das angemessene Verhalten, z.B. wird nach dem Niesen keine Händedesinfektion durchgeführt, obwohl die Gefahr der Infektionsübertragung bekannt ist.
Weniger Infektionen durch verbesserte Hygiene im Alltag sind grundsätzlich wünschenswert, denn es würde weniger Antibiotikabehandlungen und Krankenhausbehandlungen erfordern, damit auch weniger Druck auf das Gesundheitswesen entstehen und sogar die Resistenzproblematik evtl. günstig beeinflussen.

Brett Mitchell aus Newcastle, Australien, und dort Mitglied der nationalen Expertengruppe und der Nationalen COVID-19 Evidenz-Task Force skizzierte kurz die Situation in Australien und warf anschließend einen Blick darauf, wie sich Infektionsprävention nach der Pandemie verändern muss.
Ein wesentliches Merkmal zu Beginn der Pandemie war die Informationsflut, gleichzeitig aber ein Mangel an gesichertem Wissen über den neuen Erreger. Hier ist die Zusammenarbeit in Netzwerken entscheidend, sagte Mitchell. So können Probleme geteilt, Lösungen evtl. schneller gefunden und mit einer vereinten Stimme kommuniziert werden. Dabei können auch die sozialen Medien eine wesentliche Rolle spielen.
Evidenz ist ein weiterer wesentlicher Punkt, wobei es historisch einen Mangel an kontrollierten Studien zur Infektionsprävention gibt. Entsprechend ist auch die Evidenz, die existierenden Leitlinien zugrunde liegt, oft eher schwach. Mitchell präsentierte dazu Ergebnisse einer eigenen Untersuchung zu über 140 Leitlinien. Um dieses Problem zu beheben, sei mehr Unterstützung, auch seitens der Regierung, für entsprechende Forschung notwendig.
Und schließlich ist es wichtig, mit überkommenen Meinungen aufzuräumen. Als Beispiel nannte Mitchell den Umgang mit Tröpfcheninfektionen – lag der Fokus früher eher auf Tröpfchen und direktem Kontakt, stehen bei COVID-19 Aerosole im Vordergrund. Die Hierarchie von Kontrollmaßnahmen müsse also überdacht werden, und der Schutz des Personals müsse mehr in den Mittelpunkt rücken. Auch Lüftungssysteme müssen mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Es gibt keinen Grund, an alten Überzeugungen festzuhalten, erklärte Mitchell abschließend – man kann, darf und sollte sich entsprechend den neuen Erkenntnissen verändern und sein Verhalten anpassen.

++ Die nächste Jahreskonferenz der IPS wird 2022 in Bournemouth stattfinden – das genaue Datum wird noch bekannt gegeben. Mehr Informationen finden Sie auf der IPS-Website. ++

 

 

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