von Gerhard Schröder, Göttingen
Der 10. Ulmer Wundkongress, organisiert vom Häusler Forum, hatte in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes: Er wurde dreimal geplant, bis er wegen der Pandemie dann endlich am 06. Juli 2022 stattfinden konnte. Zum ersten Mal fand er in der Ratiopharm Arena statt – einer riesigen Halle, in der sonst große Sport- oder Kulturevents mit mehreren tausend Zuschauern stattfinden – denn in dieser Halle passte die „Lauffläche“ für die Teilnehmenden und vor allem die Lüftungstechnik. Auch wenn viele glauben, dass Corona mal gewesen war – nein die Pandemie ist noch nicht vorbei. So mussten wegen Erkrankungen und Quarantäne mehrere geplante Referenten ersetzt werden.
„Viel mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben!“ mit diesem Zitat von Albert Einstein begrüßte der Geschäftsführer des Häussler Sanitätshauses die 345 Teilnehmende bei wunderbarem Wetter. Frau Schuster und Frau Wenzel vom Häusler Forum hatten den Tag bestens geplant und organisiert. Der Kongresstag stand unter dem Motto „Proud to be“ – und alle Referenten griffen das Motto in ihren Beiträgen auf. Dieses Bekenntnis zum Pflegeberuf und zur Wundversorgung steckte die Teilnehmenden schnell an. Und mit einem ganz besonderen Stolz begann der Opernsänger der Ulmer Oper Girard Rhoden und wurde von Fay Neary am E-Piano begleitet. Diese eindrucksvollen Klänge gingen den Teilnehmenden unter die Haut. Mehr noch: Es wurde wieder einmal deutlich, dass Leidenschaft der entscheidende Faktor des Erfolges ist. Auch in der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden.
Ida Verheyen-Cronau begann den Tag mit den Entwicklungen der Qualifizierungen zum Wundexperten und Fachtherapeuten Wunde ICW. Sie stellte internationale und nationale Entwicklungen von Wundqualifizierungen vor und betonte, dass die Qualifizierung der ICW im internationalen Vergleich sehr hochwertig sind. Verheyen-Cronau leitet seit 16 Jahren die Zertifizierstelle der ICW. Als Krankenschwester und Lehrerin für Pflegeberufe arbeitet sie auch in einer Wundambulanz in Frankenberg. Sie sah berufspolitisch eine enorme Entwicklung in den Pflegeberufen durch die Qualifizierungen im Wundbereich: Von der „Tupfer-Anreicherin“ zur selbständig handelnden Fachkraft für Wundversorgung. Pflege muss jedoch in Zukunft anders organisiert werden als bisher, um eine eigenständige Profession zu entwickeln. Dabei ist das „Kümmern“ eine wichtige Grundlage, um chronisch Kranke zu gewinnen und zu motivieren. Kümmern heißt nicht „bemuttern“, sondern da sein und den Menschen mit einer chronischen Wunde als Individuum wahrzunehmen. Dabei ist es auch wichtig, die Angehörigen von Patienten nicht als „Feind“ anzusehen, sondern als Partner der Versorgung. Diese Fähigkeiten münden in eine Kompetenz, die in den Kursen nicht vermittelt werden kann, sondern durch stetige Reflektion des eigenen Handelns sich entwickelt.
Über die gesetzlichen Veränderungen und die Frage Wird die Wundqualifizierung zukünftig akademisch? referierte Julian Bayer, Leiter der PEG Akademie in München. Auch Bayer ist aus der Berufsgruppe Pflegefachpersonen und wagte einige Thesen: Bayer ist der Meinung, dass es in Zukunft eine staatliche Qualifizierung in Wundversorgung geben wird. Diese provokante These wurde jedoch von zahlreichen anderen Experten im Raum nicht geteilt. Mittelpunkt seiner Ausführungen war die Heilkundeübertragungsrichtlinie, die Heilkunde durch Pflegende ermöglichen soll. Bayer stellte den § 40 Absatz 6 Satz 6 des SGB XI vor, der vorsieht, dass Pflegefachpersonen Hilfsmittel empfehlen dürfen. Auch hier mangelt es bisher an Umsetzung.
„Meinen Traum habe ich erfüllt und wir haben in Aachen ein eigenes, pflegerisch geführtes Wundzentrum“, so Inga Hoffmann-Tischner. Sie zeigte an vielen Fotos die Ausstattung und die Vorgehensweise bei der Versorgung der Patienten. Pro Patient stehen in der Regel mindestens 30 Minuten zur Verfügung. Das Wundzentrum wird deshalb Einzelverträge mit den Krankenkassen zur Finanzierung abschließen. Man kann deshalb Vorgehensweisen durchsetzen, die bisher eher unüblich sind: Patienten mit offenen Beinen werden zunächst mit einer intermittierenden Kompressionstherapie entstaut und erst danach der Kompressionsverband angelegt. Das Wundzentrum kann aber nur erfolgreich arbeiten, wenn es im Netzwerk stattfindet.
Thomas Bonkowski von der Uniklinik Regensburg erklärte den Begriff Empathie im Zusammenhang mit Menschen mit chronischen Wunden. Empathie kann man nicht über Nacht erlernen, es ist eine Frage der Haltung und der eigenen kritischen Sichtweise. Zahlreiche Beispiele und auch Studien zeigen, dass Empathie der eigentliche Schlüssel zum Erfolg der Wundversorgung ist.
In einem zweiten Beitrag stellte Inga Hoffmann-Tischner aus Köln die Natur in Verbandstoffen vor: Alginate, Hydrogele usw. Im zweiten Teil wurden ätherische Öle in ihrer Vielfalt und in den Einsatzgebieten bei Menschen mit chronischen Wunden aufgezeigt. So können ätherische Öle Schmerzen lindern, was in Einzelstudien belegt wurde. Diese Zusatzkomponente der Wundversorgung müssen die Patienten selbst bezahlen.
Dass es auch im Alten Thema Dekubitus immer wieder Neues gibt, stellte Gerhard Schröder aus Göttingen vor. Technische Entwicklungen, die ihre Grundlagen aus der Raumfahrt haben, sind nicht nur Hilfsmittel. Vielmehr wird zukünftig Technik zur Sensorik der Mobilitätsmessung oder diagnostische Hilfsmittel zur Vorhersage der Entwicklung eines Dekubitus angewendet.
Matthias Prehm aus Hamburg krönte den Abschluss des 10. Wundkongresses mit seinen Ausführungen „Proud to be“. Selbstkritisch wie wir miteinander umgehen und wie es sein sollte. Aber auch mit viel Humor und Spaß rundete Prehm den gelungenen Tag ab.
Daniela Schuster sagte: „Es war nach zwei Jahren Pause eine wunderbare Erfahrung, unsere Community von Wundexperten, Referenten, Ausstellern und Teilnehmenden mal wieder zu erleben. Sich fortzubilden kann Spaß machen! Und wie wichtig Fortbildung ist, um unseren anstrengenden Alltag zu meistern und unsere Patientinnen und Patienten zu motivieren.“
Um mit den Worten von Albert Einstein zu enden: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass alles anders wird!“