von Susanne Moser
Wer im Krankenhaus arbeitet oder als Patient dort ist, merkt schnell: Ohne Pflegekräfte aus dem Ausland geht es nicht mehr. Selbst der Arbeitsminister reist deshalb um die Welt, um zum Beispiel in Brasilien Interesse für die Pflegearbeit in Deutschland zu wecken [1]. Wie finden die Fachkräfte aus dem Ausland den Weg hierher - und wie steht es um ihre Integration in die deutsche (Arbeits-)Kultur?
Wir brauchen Pflegekräfte aus dem Ausland. Dafür müssen wir fair mit den Ländern zusammenarbeiten, die über den eigenen Bedarf hinaus ausbilden. Und wir müssen als Arbeitgeber und Heimat attraktiv werden für diese Menschen. Wir wollen ausländischen Pflegefachkräften eine gute Lebensqualität ohne jede Diskriminierung ermöglichen.”
So ließ sich der Bundesgesundheitsminister beim Deutschen Pflegetag 2023 zitieren [2]. Dieses Zitat wirft einige Fragen auf – zum Beispiel, wie viele Menschen aus dem Ausland werden für die Pflege hierzulande gebraucht, wie kommen sie nach Deutschland und wie sieht dabei die Zusammenarbeit mit „den Ländern“ aus?
Wie groß ist die Personallücke?
Zunächst zum Thema „Fachkräftemangel“. Bei genauem Hinsehen ist es gar nicht so einfach, anhand von Statistiken die Fachkräftelücke genau zu quantifizieren. Hier einige offizielle Zahlen:
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Die Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt auf ihrer Website zum Programm „Triple Win“ (dazu später mehr) an, dass bis nächstes Jahr rund 150.000 zusätzliche Fachkräfte in der Kranken- und Altenpflege gebraucht werden [3].
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Nach der jüngste BA-Statistik aus dem Mai 2024 waren im Jahresdurchschnitt 2023 circa 35.000 offene Stellen für Fachkräfte im Bereich Pflege gemeldet – bei zugleich durchschnittlich 49.000 Menschen mit Pflegeberufen, die sich im letzten Jahr arbeitslos gemeldet hatten [4].
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Nach einer weiteren Statistik der BA lag 2022 der Anteil der „ausländischen Personen in Pflegeberufen“ bei 14 % - fünf Jahre vorher waren es noch 8 %. Zu dieser Steigerung trägt vor allem die Altenpflege bei: Im Jahr 2022 hatten dort 15 % der Beschäftigten eine ausländische Staatsangehörigkeit – in der Krankenpflege waren es 9 % [2].
Fachkräftemangel und Versorgungskennzahlen
Neben diesen offiziellen Arbeitsmarktzahlen kursieren in der gesundheitspolitischen Diskussion zum Fachkräftemangel in der Pflege verschiedene Zahlen aus internationalen Vergleichen. Ein Kennwert ist die Anzahl der Pflegefachpersonen (Vollzeitkräfte) in Krankenhäusern pro 1.000 Einwohner. Strittig ist dabei, wer zur Gruppe der Pflegefachpersonen gerechnet wird, da sich die Ausbildungsgänge der verschiedenen Länder nicht direkt miteinander vergleichen lassen. Nach einer Modellrechnung auf der Basis von Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für das Jahr 2020 arbeiteten in deutschen Kliniken 4,85 Pflegefachpersonen pro 1.000 Einwohner. Zum Vergleich: Im Krankenhaus-Musterland Dänemark sind es 6,43 pro 1.000 Einwohner und im oft gescholtenen Großbritannien 7,59. [5]
Komplizierte Bürokratie
Wie gelangen die ausländischen Fachkräfte nach Deutschland? Um es vorwegzunehmen: Einfach ist es nicht. Denn wer seine Personallücke mit Fachkräften aus dem Ausland stopfen möchte, der muss sich mit einem komplexen rechtlichen Rahmen auseinandersetzen. Vergleichsweise überschaubar sind die Regularien für die Beschäftigung von Personen aus der Europäischen Union (EU), dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und der Schweiz. In diesen Fällen braucht es keine besondere Genehmigung, um in der deutschen Pflege zu arbeiten [6].
Kompliziert wird die Sache für Menschen aus anderen Ländern – den „Drittstaaten“. Sie benötigen einen Aufenthaltstitel, der ihnen erlaubt, einer Beschäftigung nachzugehen, und meistens muss zudem die BA zustimmen. Für letzteres gelten die folgenden Voraussetzungen [6]:
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Feststellung einer Gleichwertigkeit der Berufsqualifikation mit einem deutschen Abschluss
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Bestehende Vermittlungsabsprachen mit Arbeitsverwaltungen im Ausland (siehe „Triple Win“) oder ein vorliegender Defizitbescheid einer in Deutschland zuständigen Stelle
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Die Beschäftigungsbedingungen entsprechen jenen von deutschen Mitarbeitenden.
Im Jahr 2022 kamen 62 % der ausländischen Personen in Pflegeberufen aus „Drittstaaten“ [2].
Wichtig zu wissen: Die Weltgesundheitsorganisation hat im Jahr 2006 eine Liste mit derzeit 55 Staaten zusammengestellt, in denen ein „kritischer Mangel an Gesundheits- und Pflegepersonal“ besteht. Diese Liste fand Eingang in das deutsche Arbeitsrecht. Damit ist es hierzulande verboten, Pflegefachpersonen aus diesen Ländern anzuwerben. Dazu gehören zum Beispiel viele afrikanische Länder wie Nigeria und der Senegal, aber auch Pakistan, Nepal und Bangladesch [7,8].
Triple Win: Fachkräftegewinnung mit behördlicher Unterstützung
Wer als Pflege-Arbeitgeber Fachkräfte aus dem Ausland sucht, kann es seit 2013 über das Programm „Triple Win“ probieren. Träger sind die „Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV)“ der BA und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die beiden Institutionen vermitteln nicht nur Pflegefachpersonen aus Ländern, mit denen „Vermittlungsabsprachen“ bestehen. Die Teilnehmenden dieses Programms werden zudem sprachlich und fachlich auf die deutsche Pflegearbeit vorbereitet und während ihrer Integration begleitet. Dabei absolvieren die Fachkräfte innerhalb von zwölf Monaten ein Verfahren zur beruflichen Anerkennung. Konkret bietet Triple Win diese beiden Ansätze zur Fachkräftegewinnung:
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Vermittlung bereits ausgebildeter Fachkräfte aus den folgenden Ländern: Bosnien-Herzegowina, Philippinen, Tunesien, Indonesien, Indien (Kerala) und Jordanien.
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Gewinnung von Menschen aus Vietnam, die Vorkenntnisse in der Pflege besitzen, für eine dreijährige generalistische Pflegeausbildung (seit 2019).
Für diese Unterstützung zahlen Arbeitgeber pro vermittelte Pflegekraft 6.638,66 Euro netto an die GIZ [3,9]. Im Jahr 2022 waren 17 % der „ausländischen Personen im Pflegebereich“ über das Triple Win-Programm beschäftigt [2].
Beschleunigung aus Bayern: Das Fast Lane-Verfahren
Die Zeitangaben zum Triple Win-Verfahren deuten es schon subtil an: Schnell lassen sich mit diesen Vermittlungsmöglichkeiten die Personallücken nicht auffüllen. Nach einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung für das Jahr 2020 dauerten die Anerkennungsverfahren für die Gleichwertigkeit des Abschlusses für alle „reglementierten Berufe“ (darunter Heilberufe) „zwischen einem Tag, mehreren Monaten bis hin zu einem Jahr und mehr“.
87 % der Prozent der im Jahr 2020 erstmalig beschiedenen Verfahren kamen nach maximal sechs Monaten zu einem Ergebnis über die Gleichwertigkeit der ausländischen Qualifikation mit dem deutschen Referenzberuf. [10].
In Bayern versucht man seit Juli 2023 mit dem sogenannten „Fast Lane“-Verfahren die Anerkennungsverfahren für Fachkräfte in der Pflege zu beschleunigen. Dazu führt das bayerische Landesamt für Pflege (LfP) einen zentralisierten Prozess mit ausschließlich digitaler Antragsstellung, beschleunigter Bearbeitung und gestrafften behördlichen Zuständigkeiten durch. Nach Angaben des zuständigen bayerischen Gesundheitsministeriums aus dem Juli 2024 dauert das Fast-Lane-Verfahren rund fünf Wochen [11].
Angekommen in Deutschland – wie sieht es mit der Integration aus?
Sind alle behördlichen Verfahren erfolgreich überstanden, dann entstehen häufig neue Herausforderungen. Wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2019 feststellte, haperte es damals mit der Integration ausländischer Fachkräfte. Die Gründe waren demnach vielfältig. So fühlten sich beispielsweise einige der neuen Pflegefachpersonen unterfordert, weil sie in ihren Herkunftsländern Aufgaben übernehmen dürfen, die in Deutschland Ärzten vorbehalten sind. Auf der anderen Seiten sahen manche inländische Kollegen hohe Sprachbarrieren als Hürde an [12,13].
Das Bundesgesundheitsministerium wurde inzwischen tätig und veröffentlicht unter seiner Website „Pflegenetzwerk Deutschland“ umfangreiche Materialien, mit denen die Integration besser gelingen soll – darunter ein „Werkzeugkoffer“ mit 15 „Anforderungsfeldern“ von der Anwerbung bis zur Konfliktlösung [2].
Fazit
Offenbar gibt es noch eine Menge zu tun, damit aus gesundheitspolitischem Wunschdenken Realität wird.
+++ Ihre Meinung ist gefragt! +++
Quellen
- Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Heil wirbt in Brasilien um Fachkräfte. 07.06.2023. unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/bm-heil-brasilien-fachkraefte-2194648(zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Bundesministerium für Gesundheit (BMG): Pflegenetzwerk Deutschland. unter: https://pflegenetzwerk-deutschland.de/thema-internationale-fachkraefte-gut-integrieren (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Bundesagentur für Arbeit: Triple Win. unter: https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/zav/projects-programs/health-and-care/triple-win/das-programm (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich. Mai 2024. unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Altenpflege.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Simon M: Pflegepersonal im internationalen Vergleich. Das Krankenhaus. 2023;115:36-40. unter: https://shop.kohlhammer.de/pflegepersonal-im-internationalen-vergleich-978-3-00-521454-2.html (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Bundesagentur für Arbeit: Pflegefachkräfte. unter: https://www.arbeitsagentur.de/unternehmen/arbeitskraefte/fachkraefte-ausland/pflegefachkraefte (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Bundesagentur für Arbeit: Informationen zum Anwerbe – und Vermittlungsverbot von Gesundheits– und Pflegepersonal aus Staaten der sog. WHO – Liste. 06.06.2024. unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/rekrutierungs-und-vermittlungsverbot-who_ba031200.pdf (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Weltgesundheitsorganisation: WHO health workforce support and safeguards list 2023. 08.03.2023. unter: https://www.who.int/publications/i/item/9789240069787 (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Bundesagentur für Arbeit: Factsheet. Triple Win Programm – nachhaltige Gewinnung von Pflegekräften aus dem Ausland. 2021. unter: https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/datei/triple-win-factsheet_ba066702.pdf (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Böse C, Schmitz N: Wie lange dauert die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen? Erste Analysen zur Verfahrensdauer anhand der amtlichen Statistik: Ergebnisse des BIBB-Anerkennungsmonitorings. Version 1.0 Bonn, 2022. unter: https://res.bibb.de/vet-repository_780599 (zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Bayerisches Landesamt für Pflege: Pressemitteilung. Gerlach: Bayern will Erfolgsmodell „Fast Lane“ auf ausländische Pflegefachhilfskräfte ausweiten – Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin zieht nach einem Jahr „Fast Lane“ für ausländische Pflegefachkräfte positive Bilanz. 25.06.2024. unter: https://www.lfp.bayern.de/pressemitteilung_erfolgsmodell-fast-lane-fuer-pflegefachhilfskraefte-ausweiten_stmgp/(zuletzt abgerufen am 09.09.2024).
- Hillienhof A: Ausländische Pflegekräfte: Berufliche Integration ist oft schwierig. Dtsch Arztebl 2019; 116(10): A-451 / B-371 / C-367.
- Pütz R et al.: Betriebliche Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland. Hans-Böckler-Stiftung. 2019. unter: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-07115 (zuletzt abgerufen am 09.09.2024)

