Wir hoffen, Euch hat unsere Einführung zum Thema Motivation geholfen, die Wichtigkeit des Themas in Bezug auf Menschen mit chronischen Wunden einzuschätzen. Vielleicht konntet Ihr ja auch schon den einen oder anderen Impuls im Alltag aufgreifen? Lasst es uns gerne wissen und schreibt uns.
Kompressionstherapie
Heute möchten wir gerne mit dem Beispiel Kompressionstherapie den ersten Schritt in die Praxis wagen. Die S2k-Leitlinie „Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten mit Medizinischem Kompressionsstrumpf (MKS), Phlebologischem Kompressionsverband (PKV) und Medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK)“ der AWMF aus 2019 bringt es auf den Punkt, indem sie darauf hinweist, dass die Kompressionstherapie bei Menschen mit phlebologischen oder lymphologischen Erkrankungen unverzichtbar ist. Sie weist außerdem darauf hin, dass „spezielle Kenntnisse und Erfahrungen sowohl hinsichtlich Diagnose, Differentialdiagnose, Risiken und Kontraindikationen als auch in der Verordnung zeitgemäßer Kompressionsmaterialien und der Technik des Anlegens“ Voraussetzung für die Therapieumsetzung sind. Vorausgesetzt, die Empfehlungen der Leitlinie werden berücksichtigt werden Betroffene in den meisten Fällen rational die Notwendigkeit einer Kompressionstherapie verstehen.
Vorausgesetzt, die Empfehlungen der Leitlinie werden berücksichtigt werden Betroffene in den meisten Fällen rational die Notwendigkeit einer Kompressionstherapie verstehen. Wie in anderen Lebensbereichen auch ist das mit der Motivation aber so eine Sache.
Eine Studie aus dem Jahr 2019 hat ergeben, dass etwa 8 % der deutschen Bevölkerung vom Arzt verordnete medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) nicht tragen. Die Adhärenz, also die Bereitschaft der Patienten, diese Strümpfe regelmäßig zu tragen, ist ein wichtiger Faktor für den Behandlungserfolg. In der Studie gaben 89 % der Patienten an, dass sie mit den MKS zufrieden oder sehr zufrieden sind und diese durchschnittlich 11 Stunden pro Tag tragen (Medizinische Kompressionsstrümpfe bei chronischen venösen Erkrankungen und Lymphödem | Die Dermatologie). Wie erlebt Ihr das? Sind die Zahlen realistisch? Gebt dazu gerne Eure Erfahrungen an uns weiter. Übrigens hat die gleiche Studie ergeben, dass Frauen gegenüber Männern eine deutlich höhere Bereitschaft zeigen, die Verordnung auch umzusetzen.
Was ist aber mit den Betroffenen, die keine ausreichende Adhärenz zeigen? Immerhin tragen sie das Risiko für ein Fortschreiten der Grunderkrankung bis hin zur Entstehung von schlecht heilenden Wunden mit allen Risiken, die damit verbunden sind. Ihr ahnt es schon, wir benötigen Strategien zum Umgang mit diesem Klientel.
Die oben angesprochene Leitlinie empfiehlt dazu zum Beispiel, das die gewählte Kompressionsklasse (KKL) nicht starr einer Diagnose zugeordnet werden soll, wie das früher üblich war. (Empfehlung 13) Stattdessen soll die Stärke der Kompression einzig dem Ziel dienen, den klinischen Befund zu verbessern. De facto „soll immer die niedrigste wirksame KKL bevorzugt werden. Dies unterstützt die Adhärenz mit der Kompressionstherapie“ (Empfehlung 14) Eine Steigerung der Mobilität, sinkender Beschwerdedruck und heilende Wunden können so zur Motivationshilfe werden. Es hat sich bewährt, dieses Thema bereits im Vorfeld einer solchen Maßnahme bei Betroffenen zu thematisieren. So können beispielsweise mit dem Assessmentinstrument WoundQuol [2] im Vorfeld die Einschränkungen der Lebensqualität erfasst und dann aktiv damit gearbeitet werden.
Gründe für das Nichttragen der Kompressionsstrümpfe sind aber nicht nur der als zu hoch empfundene Druck, sondern häufig werden von Patienten auch Unverträglichkeiten geäußert. Während Allergien gegen Strumpfmaterialien und Farbstoffe heutzutage nur noch selten der Grund dafür sind, können Fehler bei der Pflege der Strümpfe und auch der Haut zu Reaktionen wie Juckreiz und Erosionen führen. Hier kommt unserer Edukation eine besondere Bedeutung zu.
Die Leitlinie empfiehlt daher das tägliche Waschen der Strümpfe, um Schmutz und Schweiß zu entfernen. Außerdem sollen die Wasch- und Pflegehinweise der Hersteller berücksichtigt werden. (Empfehlung 17) Viele Betroffene haben plausible Gründe, warum sie das Tragen der verordneten Kompression ablehnen. Der Einfachste ist sicherlich die fehlende Information über Sinnhaftigkeit und Zweck. Daher sollten wir uns Mühe geben dieses zu vermitteln und Maßnahmen in den Vordergrund stellen, die helfen können die Stümpfe besser zu (er)tragen.
Selbstwirksamkeitstheorie
Dazu zählen Maßnahmen zur Bewegungsförderung, zur Hautpflege aber auch die Verwendung von Anziehhilfen.
Auch die Wissenschaft liefert Antworten auf die Fragen, wie Motivation besser gelingen kann. So zum Beispiel die sogenannte Selbstwirksamkeitstheorie, entwickelt von Albert Bandura. Bandura sagt, dass die Überzeugung einer Person, dass sie in der Lage ist, bestimmte Aufgaben erfolgreich zu bewältigen maßgeblich das Verhalten, die Motivation und die Emotionen einer Person beeinflusst. Auch bei Menschen mit chronischen Wunden spielt die Selbstwirksamkeit eine wichtige Rolle. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung kann das psychische Wohlbefinden verbessern und das Bewältigungsverhalten stärken. Ziel ist es, dass Betroffene aktiv nach Lösungen suchen, selbstfürsorglicher sind und eine bessere Selbstregulation haben. Stressoren sollen eher als Herausforderungen wahrgenommen werden und Patienten die Kontrolle über ihre Situation behalten.
Was in der Theorie komplex klingt, ist nichts anderes, als unsere Möglichkeit, Menschen mit chronischen Wunden oder, wie hier mit einer Erkrankung, die das Tragen von Kompressionsstrümpfen verlangt den Fokus von passiver Hilfestellung auf eine aktive Rolle im Sinne eines Empowerments zu legen. Statt dem Patienten zu helfen, die Strümpfe anzuziehen, ist es besser, im Wege aufzuzeigen, wie er das selbst erledigen kann oder was er dazu beitragen kann. (Zum Beispiel die Pflege der Strümpfe oder der Haut) Außerdem geht es darum, zu klären, wie mit Komplikationen umzugehen ist. Im Ergebnis sollen die Strümpfe getragen werden und nicht im Schrank liegen, weil sie „nicht vertragen“ werden.
Beispiele können sein: Was mache ich bei Juckreiz? Wie verschaffe ich mir Erleichterung im Sommer, wenn es sehr warm ist oder wie vermeide ich Faltenbildung und Schnürfurchen beim Tragen?
Fazit
Motivation ist nicht nur für Menschen mit chronischen Wunden ein wichtiger Antrieb, sondern sie muss von uns gefördert werden. Wissenschaftliche Modelle erklären, wie es gelingen kann. Der Transfer dieser Erkenntnisse in die konkrete Praxis ist die Kunst erfolgreicher Arbeit.
Im nächsten Newsletter beschäftigen wir uns erneut mit dem Thema Motivation. Dann mit dem sogenannten transtheoretischen Modell und dem Diabetischen Fußsyndrom.
Referenzen
1. Deutsche Gesellschaft für Phlebologie u. Lymphologie e.V. (DGPL): Kompressionstherapie der Extremitäten mit Medizinischem Kompressionsstrumpf (MKS), Phlebologischem Kompressionsverband (PKV) und Medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK). AWMF: https://www.awmf.org/service/awmf-aktuell/medizinische-kompressionstherapie-der-extremitaeten-mit-medizinischem-kompressionsstrumpf-mks-phlebologischem-kompressionsverband-pkv-und-medizinischen-adaptiven-kompressionssystemen-mak
2. WoundQL: https://www.wound-qol.com/wp-content/uploads/NutzermanualWound-QoL2022-12-02.pdf