von Susanne Moser
Schon seit März hat die deutsche Luftwaffe wiederholt Opfer des Ukraine-Kriegs zur medizinischen Behandlung nach Deutschland ausgeflogen. Diese Patienten haben schwerste Verwundungen, die hohe Anforderungen an die hiesigen Ärzte und Pflegekräfte stellen.
Prof. Dr. med. Benedikt Friemert, Oberstarzt und Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm, hat als Einsatzchirurg in Afghanistan und Bosnien-Herzegowina, zahlreiche Opfer kriegerischer Konflikte medizinisch versorgt. Er beschreibt im Folgenden die besonderen Herausforderungen der Wundversorgung im Kontext von Kampf- und Kriegshandlungen.
Große Wunddefekte und langwierige Infektionen
Bei der Versorgung von Kriegsverletzten kommt es vor allem auf eine rasche Versorgung vor Ort im Kriegsgebiet an, um die schweren Blutungen durch Schuss- und Explosionswunden schnell zu stillen. Das verfügbare Zeitfenster ist eng, da etwa 50 Prozent der Verwundeten innerhalb von 45 Minuten verbluten. Nach dieser Erstversorgung und der Sicherstellung der Transportfähigkeit geht es vor allem um zwei medizinische Herausforderungen:
- Die Rekonstruktion großer Wunddefekte: Das heißt, es müssen zerstörtes Gewebe wie Muskeln, Nerven, Blutgefäße und Organe sowie ganze Körperteile rekonstruiert werden.
- Die häufig langwierige Behandlung schwer zu kontrollierender Wundinfektionen: Viele Wunden sind zudem durch Schmauchspuren und Munitionsreste kontaminiert. Überdies greifen die Infektionen häufig auf die Knochen über.
Hilfe erst „hinter der Grenze“ möglich
Aufgrund der schwierigen politischen Situation können deutsche Hilfsorganisationen nicht direkt im Kriegsgebiet tätig werden, sondern erst, wenn die Verletzten den ukrainischen Boden verlassen haben. Eine Ausnahme sind Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie „Ärzte ohne Grenzen“. Daher müssen die Verwundeten zunächst mithilfe von NGOs oder ukrainischen Organisationen an die Grenze gebracht werden. Dieser innerukrainische Transport ist der limitierende Schritt im Hilfsprozess, da die dortigen Sanitätsdienste dringender für andere Aufgaben gebraucht werden. Aus den Grenzgebieten gelangen die Kriegsopfer entweder über informelle Initiativen oder aufgrund einer offiziellen Anfrage an die Bundesregierung in deutsche Krankenhäuser.
Versorgungsstrukturen in Deutschland im Aufbau
Mit Blick auf die Weiterversorgung in Deutschland hat man, mit Beteiligung des Robert Koch-Instituts, Versorgungsstrukturen aufgebaut. Dabei können die Verantwortlichen auf Bestehendes zurückgreifen. Zum einen dient das „Kleeblattkonzept“ aus der Corona-Pandemie als Blaupause des Verteilungssystems für die Verletzten. Im Unterschied zu den eher kurzfristigen Intensivinterventionen bei den Covid-19-Patienten, brauchen die ukrainischen Patienten allerdings häufig eine langfristige, spezialisierte interdisziplinäre Versorgung. Zum anderen sind fast 650 medizinische Einrichtungen im deutschsprachigen Raum in den Trauma-Netzwerken der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) integriert. Diese DGU-Traumazentren verfügen über eine zertifizierte Expertise in der Versorgung von Schwerstverletzten, insbesondere auch bei der Rekonstruktion und der septischen Knochenchirurgie. Vor allem aber ist es in den Zentren möglich, die notwendige interdisziplinäre Versorgung durchzuführen.