von Martin Motzkus
Was hat man nicht alles schon gelernt, wenn es um bewusste Sprache geht. Konzepte wie Aktives Zuhören, das Vierohrenmodell, Placebos und Nocebos, Fragetechniken, und, und, und.
Manchmal fragen wir uns doch vermutlich: Was macht Sprache eigentlich mit uns und den uns anvertrauten Patienten? In unserer täglichen Praxis begegnen wir immer wieder Menschen, die seltsame Dinge zu Patienten sagen, ohne sich dabei selbst zu reflektieren. Wie auch? Man hört sich ja nicht selbst reden, oder?
In unserem WUND_letter zum Thema „Placebo und Nocebo” haben wir schon einmal die Frage beantwortet, was passieren kann, wenn mit falschen Impulsen oder Suggestionen gearbeitet wird, z.B. indem auf unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten hingewiesen wird. Die Gefahr: Die Nebenwirkungen werden Wirklichkeit
Heute möchten wir mit Ihnen über Sprachstil und Fachsprache nachdenken.
In Seminaren für Wundversorgende gibt es viele Hinweise, wie man Dinge benennen, klassifizieren und beschreiben kann. Wir glauben, dass eine gemeinsame Sprache die Grundlage für eine professionelle Zusammenarbeit ist. Aber Menschen funktionieren nicht so statisch, und verklausulierte Formulierungen sind nicht gerade geeignet, das Vertrauen der Patienten zu gewinnen. Fachchinesisch ist ebenso unerwünscht wie unvollständige Andeutungen oder unklare Ankündigungen. So ist der „Gummistrumpf“ ebenso „out“ wie das „Elefantenbein“ oder gar das „Raucherbein“ (siehe ICW-Standards zur Diagnostik und Therapie chronischer Wunden von 2023).
Natürlich sprechen die meisten Kollegen und auch die Patienten eine Sprache, die jeder versteht. In der Kommunikation mit chronisch kranken Menschen ist es im Grunde wie mit kleinen Kindern. Sie brauchen eine einfache, klare Sprache, brauchen Einfühlungsvermögen und wollen manchmal einfach nur gehört werden. Ratschläge sind oft unerwünscht, denn auch Ratschläge können manchmal „Schläge“ sein. Aber unsere Menschen mit chronischen Wunden sind eben erwachsen und selbstbestimmt. Und das wollen sie in der Regel auch bleiben.
Was darf man also sagen? Oder besser: Was geht, was geht nicht in der Kommunikation mit oder über diese Menschen?
Klar ist: Fachbegriffe sind notwendig. Sie begegnen den Patienten beim „googeln“ und im medizinischen Alltag sowieso. Diese nun auf das Sprachniveau des Betroffenen herunterzubrechen, ist die eigentliche Kunst. Sich am Sprachstil des Gegenübers zu orientieren und seinen Wissens- und Bildungsstand zu reflektieren, ist dabei äußerst wichtig. Belehrungen und Indoktrinationen wie „Das müssen Sie unbedingt so machen“ oder „Wie können Sie nur...“ und „Wissen Sie eigentlich nicht, dass ...“ verbieten sich.
Nehmen wir ein Beispiel: Jemand mit einem dem Diabetischen Fußsyndrom kommt zu Ihnen und hat ein wirklich nicht gut gepflegtes Bein: Die Fußnägel sind in desolatem Zustand und die Wundversorgung, die der Patient bis heute selbstständig durchgeführt hat, ist misslungen. Eine Infektion ist nun aufgetreten und der Patient ist dank Dr. Google bestens informiert und fragt ängstlich, ob er nun amputiert werden muss.
Option 1: Sie machen dem Menschen Vorwürfe, lassen durchblicken, dass Sie sein Verhalten missbilligen und haben die Haltung, dass er ja nun auch selbst schuld sei. Ergebnis: Vertrauen futsch, Chance zur Veränderung auch.
Option2: Sie stellen sich die Frage, was zu einer guten Versorgung fehlt und wie nun das Beste aus der Situation zu machen ist. Welche Chancen bestehen auf Wundheilung und wie sieht es mit weiterer Rezidivprophylaxe aus? Fragen Sie dann den Betroffenen nach seinem Erleben und seinen Ängsten. Sprechen Sie nicht von Schuld oder Versagen, sondern von Ihrem Angebot und den Chancen, die Sie sehen.
Sie wissen natürlich, welche Option die geschicktere ist. Aber wie sieht es mit der Fachsprache aus? Wir glauben, dass dies eine Gratwanderung ist, die in jedem Gespräch neu bewertet werden muss. Es ist eine gute Angewohnheit, die richtigen Fachbegriffe zu verwenden, weil sie Kompetenz und auch Seriosität ausdrücken. Natürlich müssen diese Begriffe in einfachen Worten erklärt und in den Kontext gestellt werden. In Schulungs- und Beratungssituationen ist es unseres Erachtens sogar wichtig, sie zu verwenden, weil man als Dolmetscher so offene Fragen aufgreifen kann, die der Patient in Unkenntnis der richtigen Begriffe vielleicht gar nicht stellen würde. So lernt der Patient etwas über seine Erkrankung und wird im besten Fall sprachlich kompetenter in der Kommunikation mit dem Fachpersonal.
In Situationen, in denen Angst oder Unsicherheit beim Patienten vorherrschen, ist eine einfache und klare Sprache sicherlich vorteilhafter, hier geht es ja auch mehr um die Wahrnehmung von Emotionen und das Auflösen von Spannungen. Allzu flapsig oder gar bagatellisierend sollte allerdings niemand vorgehen, ein dahingesagtes „Kopf hoch“ oder „das wird schon wieder“ hilft eben auch nicht. Gerade bei Angst ist es überaus sinnvoll, die angstmachenden Aspekte klar anzusprechen und eventuelle Irrtümer fachlich korrekt aufzuklären. Wichtig ist hier auch die Kommunikation im Team. Unterschiedliche Erklärungsansätze schüren Unsicherheit und führen eventuell zu neuen Ängsten.
Bei Fragen, auf die es keine klare oder einfache Antwort gibt, ist es von Vorteil, nach der Einschätzung des Betroffenen zu fragen, um nicht „über das Ziel hinauszuschießen" und eventuell weitere Ängste auszulösen. Beispielfrage: „Wie lange wird es dauern, bis die Wunde verheilt ist?“ Falsche Antwort: „Ich habe keine Glaskugel, das kann ich nicht sagen! Ebenfalls falsch: „Noch ca. 2–3 Wochen“. Beides wäre unseriös und im ersten Fall, den Sie sicher schon das eine oder andere Mal so oder ähnlich gehört haben, eindeutig zu leichtfertig.
Gut ist es hingegen zum Beispiel, gemeinsam zu reflektieren, welche Ziele bereits erreicht wurden. Dann kann man aufzählen, was die Wundheilung hemmt und was sie fördert, und den Patienten befähigen oder ermutigen, selbst etwas zur Heilung beizutragen. „Mehr Bewegung würde Ihrer Wunde guttun“ oder „Lassen Sie uns über Ernährung sprechen“ ist konstruktiv und versetzt den Patienten in eine aktive Rolle (Empowerment).
Wir hoffen, diese Zeilen helfen Ihnen, einmal die Kommunikation in Ihrem Team zu reflektieren und auch in Situationen, die Sie sprachlos machen, souverän zu reagieren. Greifen Sie ruhig wertfrei, aber bestimmt Dinge auf, die Sie hören und so nicht stehen lassen wollen. Eine gemeinsame Fachsprache kann dabei helfen, weil sie auch emotionale Situationen auf eine rationale Ebene herunterbrechen kann.
Schreiben Sie uns gerne in die Kommentare oder per E-Mail an wm@mhp-medien.de, wie Sie professionelle Kommunikation im Team fördern oder welche Erlebnisse Sie gerne teilen möchten. Das WUND_letter-Team freut sich, von Ihnen zu lesen!
