Was bringen neue Studiendaten und Künstliche Intelligenz für die Praxis?

© iStock.com/Bangon Pitipong

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Was wird das Jahr 2025 Neues für die Wundversorgung bringen? Eine mögliche Vorahnung geben aktuelle Studiendaten zu physikalischen Therapien wie Kaltplasma oder zur Anwendung von Fischhaut, wie sie beim 7. Nürnberger Wundkongress (WUKO 2024) Anfang Dezember 2024 vorgestellt wurden. Eine weitere Option mit Zukunftspotenzial ist die Künstliche Intelligenz (KI). Die Entwicklungen im Bereich des KI-unterstützten Wundmanagements gehen inzwischen weit über die Wund-Diagnostik hinaus. Allerdings gilt es, einige Hürden zu überwinden, bevor KI-Technologien einen echten Mehrwert für die Praxis bieten können. 

 
Prognosen haben zu Jahresbeginn Hochkonjunktur. Warum also nicht der Blick in den Kaffeesatz werfen, um vielversprechende Trends in der Wundversorgung zu entdecken? Eine ergiebige Grundlage für Vorhersagen bieten aktuelle Studiendaten, wie sie zuletzt beim WUKO 2024 präsentiert wurden [1].

ODIN-Studie: Was bringt Fischhaut beim Diabetischen Fußsyndrom?

Seit rund zehn Jahren wird die Anwendung von Fischhaut-Transplantaten in der Wundversorgung wissenschaftlich untersucht – zuletzt auch im Rahmen randomisierter kontrollierter Studien (RCT). Bei „Fischhaut“ handelt es sich um eine extrazelluläre Matrix aus der Kabeljau-Haut mit einem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren. Sie ist der menschlichen Haut strukturell ähnlich und fördert unter anderem das Wachstum von Fibroblasten. Frühere RCT zum Vergleich von Fischhaut mit einer Standard-Wundbehandlung zeigten keine signifikanten Unterschiede [6]. Im Jahr 2024 wurden jedoch die Ergebnisse der ODIN-Studie publiziert. Hier die Eckdaten:

  • Offene, prospektive, internationale, multizentrische, 1:1-randomisierte RCT zum Vergleich von Fischhaut-Transplantaten mit einer Standard-Wundbehandlung
  • Insgesamt 255 Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom (Wagner-Stadien 2 und 3; Wundtiefe reicht bis zu den Sehnen/Kapsel oder Knochen) oder einer Amputationswunde, aber ohne Ischämien beziehungsweise nach einer Revaskularisation
  • Primärer Endpunkt: Wundheilung nach 16 Wochen


Nach 16 Wochen erreichten 44 % der Patienten in der Fischhaut-Gruppe eine Wundheilung – gegenüber 26 % in der Kontrollgruppe. Damit führte die Fischhaut-Behandlung zu einer signifikant höheren Wundheilungsrate als die Standardbehandlung (p < 0,001). Außerdem verkürzte sich die Heilungsdauer: 17,3 Wochen in der Fischhaut-Gruppe gegenüber 19,4 Wochen in der Kontrollgruppe [6, 7].

POWER-Studie: Was bringt Kaltplasma bei großflächigen Wunden?

Ähnlich wie bei der Fischhaut versucht man auch seit Jahren, den Nutzen einer Kaltplasma-Anwendung bei Wunden in Studien nachzuweisen. Vielleicht ändert sich die Evidenzsituation mit der deutschen POWER-Studie (Plasma on Chronic Wounds for Epidermal Regeneration Study), die voraussichtlich Ende 2025 abgeschlossen wird. Diese Studie untersuchte erstmals die Kaltplasma-Behandlung großflächiger Wunden. So sah das Studiendesign aus:

  • Multizentrische 1:1-randomisierte RCT zum Vergleich der Kombination aus Standard-Wundtherapie plus Kaltplasma gegenüber einer Standard-Wundtherapie ohne Kaltplasma (Kontrolle)
  • 47 Patienten mit großflächigen (5 bis 100 cm²) chronischen nicht-infizierten Wunden am Unterschenkel (venös oder arteriell)
  • Kaltplasma-Therapie über vier Wochen: drei Anwendungen von je zwei Minuten Dauer pro Woche (zwölf Anwendungen insgesamt)
  • Primärer Endpunkt: Relative Verkleinerung der Wundfläche nach eine Therapiedauer von vier Wochen (digitale Messung)


Eine erste Auswertung der Daten zeigt eine 2,14-fach höhere Wundverschlussrate in der Kaltplasma-Gruppe gegenüber der Kontrollgruppe (nach vier Wochen Therapiedauer). Die Patienten in der Interventionsgruppe profitierte zudem von geringeren Schmerzen und einer verbesserten Lebensqualität. Außerdem brauchten sie seltener eine systemische Antibiotikabehandlung. Die endgültigen Studienergebnisse lassen noch auf sich warten [8, 9].

Überblick: Evidenz physikalischer Ansätze in der Wundtherapie

Die Kaltplasmatherapie war auch eines der Themen im Vortrag von Prof. Ewa K. Stürmer (Hamburg) beim WUKO 2024. Sie gab einen Überblick zu ausgewählten physikalischer Therapieansätze aus Sicht der Evidenz und der Versorgungspraxis. Dabei ging es unter anderem um diese Methoden:

  • Fotobiomodulation (Low-Level-Laser-Therapie, LLLT): Der genaue Wirkmechanismus der LLLT ist bis heute unklar. Ihr Ergebnis hängt unter anderem von der Vorbereitung der Haut / Wunde, von der verwendeten Wellenlänge und der Anwendungsdauer ab. Ein Nutzen der LLLT wurde beispielsweise in der Behandlung der atopischen Dermatitis und postoperativer Narben nachgewiesen. Für ihre Wirksamkeit in der Wundversorgung liegt bislang keine Evidenz vor [10].
  • Katplasma: Bei der Anwendung von Kaltplasma entstehen reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies. Außerdem sinkt der pH-Wert der Haut, was sich wiederum auf den Biofilm auswirkt. Die europäische Fachgesellschaft EWMA hat im Oktober 2024 ein Positionspapier zur Kaltplasmatherapie veröffentlicht. Darin stellt sie fest, dass bislang Ergebnisse aus (derzeit laufenden) RCT fehlen und dass es eine große Varianz der verfügbaren Kaltplasmageräte gibt. Insgesamt sieht die EWMA die Kaltplasmatherapie als eine wertvolle Ergänzung zur Wundbehandlung [10, 11].


Frau Prof. Stürmer fasste abschließend zusammen, dass die vorgestellten physikalischen Methoden die Wundheilung beeinflussen. Allerdings erschweren noch unklare Anwendungsbedingungen, unterschiedliche Gerätetypen und fehlende RCT-Ergebnisse eine objektive Einschätzung ihrer Wirksamkeit [10].

Monitoring: pH-Wert als neuer Marker für die Wundheilung?

Neben modernen Behandlungsmethoden für (chronische) Wunden werden auch neue diagnostische Ansätze erprobt. So könnte die Messung des pH-Werts in der Wunde und Wundumgebung wichtige Informationen über den Heilungsfortschritt liefern. Erste Studiendaten zeigen die folgenden Zusammenhänge zwischen Wund-pH-Wert und Heilungssituation:

  • Chronische, nicht heilende Wunden weisen pH-Werte im basischen Bereich (> 7) auf.
  • Akute, heilende Wunden haben einen neutralen oder sauren pH-Wert (≤ 7).


Daher könnte ein steigender pH-Wert in Richtung basischer Bereich auf eine Wundinfektion oder eine Heilungsstörung hindeuten. Allerdings fehlen derzeit noch Daten, um diese Zusammenhänge einzuordnen und daraus Therapieempfehlungen abzuleiten [12].

Was kann Künstliche Intelligenz (KI) in der Wundversorgung leisten?

Ein unübersehbarer Themenschwerpunkt des WUKO 2024 war der Einsatz von KI-basierten Technologien in der Wundversorgung. Dabei wurde deutlich, dass sich die Anwendungsmöglichkeiten von KI-Technologien zunehmend erweitern, wie diese Beispiele verschiedener Forschungsprojekte zeigen:

  • Wunddiagnostik: KI-Werkzeuge, die mit einer Vielzahl von Fotos und weiteren Informationen wie Anamnesedaten trainiert wurden, können helfen, Wunden richtig zu diagnostizieren. So konnte man beispielsweise im Rahmen des Forschungsprojekts PYOKI nachweisen, dass ein spezieller KI-Algorithmus Pyoderma gangraenosum mit einer höheren Sensitivität erkennen kann als erfahrene Dermatologen.
  • Klassifikation von Wunden: KI-basierten Technologien lassen sich zur Vermessung und Klassifikation von Wunden einsetzen – beispielsweise beim diabetischen Fußsyndrom, bei Dekubitus oder Verbrennungswunden.
  • Wundinfektionen: Mit der heute üblichen mikrobiologischen Labordiagnostik dauert es häufig mehrere Tage bis anhand eines Abstrichs der Erreger einer Wundinfektion identifiziert wird. Hier könnte die Verbindung von speziellen Riechsensoren („elektronische Nase“) und KI-Technologien die Infektionsdiagnostik beschleunigen. Diese Sensoren können flüchtige organische Verbindungen (volatile organic compounds, VOC) detektieren, die von den Bakterien in einer Wunde abgesondert werden. Diese VOC sind wie Biomarker spezifisch für Bakterienarten. Mithilfe von KI-Technologien und dem VOC-Profil lassen sich kontaktlos und schnell die verursachenden Bakterien bestimmen.
  • Therapieunterstützung: KI-gestützte Algorithmen können bei (leitliniengerechten) Therapieentscheidungen unterstützen und helfen, die Wundtherapie zu optimieren. Dazu werden diagnostische Daten mit den Inhalten entsprechender Wissensdatenbanken verknüpft.

KI-Hürden: Zu wenig Trainingsdaten und zu viel Datenschutzregeln

Bei den genannten Beispielen handelt es sich noch um Forschungsprojekte. Denn dem breiten Praxiseinsatz von KI in der Wundversorgung stehen einige Hindernisse im Weg. So hängt die Leistungsfähigkeit eines KI-Modells von der Quantität und Qualität der Trainingsdatensätze ab. Beispielsweise gibt es zu wenig brauchbares und unterschiedliches Fotomaterial. Die Forschungsgruppen behelfen sich damit, dass sie vorhandene Fotos zum Beispiel drehen oder spiegeln, um den Trainingsfotobestand zu vergrößern. Wichtig für die Entwicklung leistungsfähiger KI-Modelle wäre zudem ein strukturiertes Wundregister mit qualitätsgesicherten Annotationen, das allerdings bis jetzt noch nicht existiert. Ein weiterer KI-Hemmschuh ist der Datenschutz. Wundfotos gehören zu den sensiblen und besonders geschützten Gesundheitsinformationen. Für sie gilt der Grundsatz der Datensparsamkeit und einer zweckgebundenen Verwendung. Das heißt, die betroffenen Patienten müssen einwilligen, wenn Fotos ihrer Wunden für das Training eines KI-Modells verwendet werden. Schließlich mangelt es derzeit noch an Akzeptanz für KI-Technologien. Ein entscheidender Aspekt ist daher die Erklärbarkeit von KI-Modellen („explainable AI“). Mit verschiedenen Methoden lässt sich heute darstellen, welche Merkmale maßgeblich für die Ergebnisse eines KI-Modell (zum Beispiel eine Diagnose) waren. Damit werden KI-Algorithmen transparenter und es ist möglich, etwaige Fehler der Modelle zu identifizieren [2-5].

Fazit

Wird das Jahr 2025 den Durchbruch für die Fischhaut oder das Kaltplasma bringen? Oder werden KI-gestützte Technologien den Sprung in die Praxis schaffen? In zwölf Monaten wissen wir mehr.

 

 

Quellen

1. Sitzung KP 20 – DGG II: Aktuelle Studien und Forschung. 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024
2. Moelleken M: Künstliche Intelligenz im Fokus: Perspektiven in der Medizin. Vortrag beim 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024
3. Krieter M: Einsatz der KI zur Diagnosestellung bei chronischen Wunden. Vortrag beim 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024
4. Masur K: Herausforderungen in der stationären Diagnostik chronisch infizierter Wunden. Vortrag beim 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024
5. Storck M: Auf dem Weg zur KI-gestützten Wundbehandlung – was benötigen wir und was ist nice-to-have? Vortrag beim 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024
6. Dorweiler B: Fischhaut-Ergebnisse der ODIN-Studie. Vortrag beim 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024
7. Dardari D et al.: Intact Fish Skin Graft to Treat Deep Diabetic Foot Ulcers. NEJM Evid. 2024; 3(12).
8. Meyer T: Die POWER-Studie. Vortrag beim 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024
9. Abu Rached N et al.: Cold Plasma Therapy in Chronic Wounds-A Multicenter, Randomized Controlled Clinical Trial (Plasma on Chronic Wounds for Epidermal Regeneration Study): Preliminary Results. J Clin Med. 2023; 12(15): 5121.
10. Stürmer EK: Physikalische Wundtherapie translational – Magnetfeld, Laser und Kaltplasma. Vortrag beim 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024
11. Apelqvist J et al.: Cold Plasma An emerging technology for clinical use in wound healing. J Wound Management, 2024;25(3 Sup1):S1-S84.
12. Rembe JD: pH-Wert in chronischen Wunden. Vortrag beim 7. Nürnberger Wundkongress, 06.12.2024

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