Was darf man noch sagen – angstmachende Sprache

© istock.com/yuriz

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von Martin Motzkus

Die Art und Weise, wie wir mit Patientinnen und Patienten kommunizieren, spielt eine entscheidende Rolle für ihr Wohlbefinden und ihre Genesung. Eine angstauslösende Sprache, die oft unbeabsichtigt verwendet wird, kann erhebliche negative Auswirkungen haben. Beispielsweise kann die Verwendung von Fachjargon oder die Hervorhebung von Risiken ohne Kontext bei Patienten unnötige Ängste auslösen. Daher ist es wichtig, dass wir uns der Macht der Sprache bewusst sind und gezielt eine Kommunikation fördern, die Vertrauen und Sicherheit vermittelt.

 
Angstmachende Sprache umfasst alle Formen der Kommunikation, die bei Patienten Angst oder Stress auslösen können. Dazu gehören auch unser Verhalten sowie unsere Mimik und Gestik in der Kommunikation.

Die psychischen und physischen Auswirkungen angstmachender Sprache auf Patienten sind erheblich. Angst und Stress können nicht nur das subjektive Wohlbefinden beeinträchtigen, sondern auch den Heilungsprozess verlangsamen und die Wahrnehmung von Schmerzen verstärken. Viele wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine beruhigende Kommunikation positive Effekte auf die Genesung haben kann.

Der Nocebo-Effekt

Einen besonderen Stellenwert nehmen dabei die sogenannten Nocebos ein (siehe auch „Placebo und Nocebo in der Kommunikation“)
Mit dem Begriff Nocebo (lat. nocebo = ich werde schaden) wird ein Phänomen bezeichnet, bei dem negative Erwartungen oder Überzeugungen eines kranken Menschen zu einer Verschlechterung der Symptome, also zu tatsächlichen negativen gesundheitlichen Auswirkungen führen können. Dies kann durch die Art und Weise, wie Informationen vermittelt werden, noch verstärkt werden. Eine Studie von Häuser et al. [1] zeigt, dass Nocebo-Effekte durch die Kommunikation von Nebenwirkungen in klinischen Studien verstärkt werden können. Die Forscher fanden heraus, dass Patienten, die über mögliche Nebenwirkungen informiert wurden, häufiger diese Nebenwirkungen berichteten, selbst wenn sie ein Placebo erhielten.

Strategien zu angstfreier Kommunikation

Es gibt zahlreiche Strategien zur Förderung einer angstfreien Kommunikation. Dazu gehören eine klare und verständliche Sprache, die Einbeziehung der Patienten in Entscheidungsprozesse und die Vermittlung von Informationen auf positive und unterstützende Weise. Diese Ansätze können das Vertrauen in unsere Arbeit stärken und helfen, Ängste abzubauen. Beispiele hierfür sind die Betonung der erwünschten Wirkung eines Medikaments oder einer Maßnahme wie z.B. der Wundreinigung, ohne auf mögliche Schwierigkeiten hinzuweisen, wie z.B. „das Medikament kann Übelkeit verursachen“ oder „das kann jetzt etwas weh tun“. Stattdessen kann auf die guten Erfahrungen mit dem Medikament hingewiesen werden oder die bereits spürbare Wirkung des bisherigen Debridements beschrieben werden, um Mut zu machen und im Sinne eines Placebo-Effektes zu unterstützen.

„Wichtig ist, dass medizinisches Fachwissen verständlich vermittelt wird, um Missverständnisse und Ängste bei den Patienten zu vermeiden“

Im Artikel „Nocebo, Aufklärung und Arzt-Patienten-Kommunikation“ [2] werden speziell die negativen Effekte untersucht, die durch medizinische Aufklärung ausgelöst werden können. Die Autoren betonen, dass eine bewusste und positive Kommunikation notwendig ist, um diese Effekte zu minimieren. Es wird unter anderem vorgeschlagen, Risiken immer zusammen mit positiven Aspekten zu erwähnen:

  • Anstatt Risiken negativ hervorzuheben, sollten sie in einem positiven Kontext erwähnt werden. Zum Beispiel: „90 % der Patienten vertragen das Medikament gut“ statt „Bei 10 % treten Nebenwirkungen auf“.

  • Patienten sollten aktiv nach ihren bisherigen Erfahrungen und Erwartungen befragt werden, um Missverständnisse auszuräumen. Eine einfache Frage wie „Was von dem Gesagten hat Sie besonders beunruhigt?“ kann helfen, Missverständnisse zu erkennen und auszuräumen.

  • Neben den Risiken sollten auch die Vorteile der Behandlung und die Maßnahmen zur Minimierung von Nebenwirkungen genannt werden. Zum Beispiel: „Es besteht ein Infektionsrisiko, aber wir desinfizieren die Haut sorgfältig, um dies zu verhindern“.

  • Unnötige Wiederholungen negativer Aspekte sollten vermieden werden, um keine Nocebo-Effekte zu erzeugen.

  • Patienten sollten darüber informiert werden, dass sie das Recht haben, auf detaillierte Informationen zu verzichten, wenn sie dies wünschen. Es gebe ein Recht auf Nichtwissen, das helfen könne, unnötige Ängste zu vermeiden.

Weiterhin heben die Autoren hervor, dass eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung der beste Schutz vor Nocebo-Effekten sei. Daher müsse man sich Zeit für Gespräche nehmen, aktiv zuhören und Einfühlungsvermögen zeigen, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Der Placebo-Effekt

Eine andere Studie [3], in der es um die Macht der Worte und die Wirkung von Placebos in der Medizin ging, kam zum Ergebnis, das Medikamente noch besser wirken, wenn der Patient von deren Verwendung Kenntnis haben. Dort heißt es:

„Selbst bei Morphin, mit klar definiertem Wirkmechanismus, beträgt die Wirkung durch die Ankündigung das 2- bis 3-Fache des pharmakologischen Effektes.“

Und weiter:

„Für die menschliche Kommunikation ist eine bloße Übermittlung von Informationen nicht ausreichend. So sind die Aussagen bei Aufnahme eines Patienten in den Operationsbereich „Ich gebe ihnen hier eine Decke und lege einen Gurt an“ ungenügend. Erst durch den Zusatz einer Bedeutung „Ich gebe Ihnen eine Decke, damit sie sich wohlfühlen, und lege Ihnen einen Gurt zu ihrer Sicherheit an“ entstehen im Patienten Erwartungen, Grundlage entsprechender Placebo-Effekte.“


In diesem Zusammenhang wird in dem Artikel erwähnt, dass die Verwendung des Wortes Placebo häufig irreführend ist. Es gehe nicht um das Scheinmedikament selbst. Patienten reagierten nicht auf leere Medikamentenhülsen, sondern auf die Bedeutung, die ihnen gegeben werde. So können Placebos ähnlich gute Wirkungen erzielen, wie die Wirkstoffe selbst. Beides zusammen, also Wirkstoff und die Placebowirkung können sich so gegenseitig potenzieren.

Gleiches gilt aber eben auch für Nocebos, wobei wir wieder beim Thema angstmachende Sprache sind. Dabei sind aber nicht nur Worte gemeint, sondern auch Verhaltensweisen, Gesten und Mimik. Eine hochgezogene Augenbraue bei der Wundkontrolle kann viele Fragen aufwerfen und Ängste schüren. Somit sollten sich alle Behandelnden, analog zu dem Grundsatz „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Paul Watzlawik), bewusst sein, dass Seiteneffekte der Sprache immer stattfinden. Ob am Ende ein ängstlicher oder ein optimistischer Patient zurückbleibt, liegt dann auch in unserer Verantwortung!

Übrigens ist auch die Wirkung von Optimismus hinreichend untersucht. So können durch eine optimistische Einstellung zum Beispiel Schmerzen reduzieren, schnellere Heilung nach Operationen bringen und auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass gesundheitsfördernde Ratschläge befolgt werden, wie im Blog „Die Rolle von Optimismus bei der Genesung von Krankheiten“ dargestellt wird.

Sie sehen, dass Sprache ein mächtiges Werkzeug im Alltag (nicht nur der Wundbehandlung) ist und daher einen bewussten Umgang verdient. Vielleicht gehen auch Sie nach dem Lesen dieses Beitrags aufmerksamer durch Ihren Alltag und möchten von Ihren Erfahrungen berichten? 

 

Schreiben Sie uns gerne in die Kommentare oder per E-Mail an wm@mhp-medien.de, wie Sie professionelle Kommunikation im Team fördern oder welche Erlebnisse Sie gerne teilen möchten. Das WUND_letter-Team freut sich, von Ihnen zu lesen! 

 

 

Quellen

1. Häuser W, Hansen E, Enk P: Nocebo Phenomena in Medicine. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(26): 459-65. (DOI: 10.3238/arztebl.2012.0459)
2. Hansen E, Zech N, Benson S: Nocebo, Aufklärung und Arzt-Patienten-Kommunikation.Der Nervenarzt 2020; 91: 691–699. (DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-020-00963-4)
3. Dittmar E: Nocebo-Effekt: Von der Macht der Worte (DOI: https://www.aerzteblatt.de/archiv/215813/lit.asp)

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