DGKH-Kongress 2022: Was wir aus internationalen Erfahrungen während der Pandemie lernen können

© DGKH e.V.

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von Dr. Gudrun Westermann


Die Pandemie beschäftigt uns schon seit über zwei Jahren, und schließlich wird durch kriegerische Auseinandersetzungen wie in Syrien und momentan in der Ukraine Gesundheitsinfrastruktur zum Teil wissentlich und absichtlich zerstört.
Die COVID-19-Pandemie belastet das Gesundheitswesen außerordentlich, hat aber auch viele Schwachpunkte aufgezeigt und ermöglicht es uns, für die Zukunft zu lernen. Denn die nächste Pandemie wird kommen.
Über ihre Erfahrungen berichteten internationale Kollegen u.a. aus Schweden, Großbritannien, Italien und Afrika in drei EUNETIPS-Symposien.

 

Aus Schweden beschrieb Birgitta Lytsy, wie dort am Anfang praktisch keine Maßnahmen umgesetzt wurde. Selbst bezüglich einer Maskenpflicht wartete man auf weitere Evidenz.
In Schweden gibt es durchverschiedenen Regionalregierungen im Rahmen des föderalen Systems fragmentierte Verantwortlichkeiten und zögerliche, oft unklare Entscheidungen – dafür haben die Älteren den Preis gezahlt, erklärte Lytsy. Denn die meisten Todesfälle gab es bei Älteren in Pflegeeinrichtungen.
Nach der Winterurlaubssaison 2020 hatte Schweden weit höhere Fallzahlen als z.B. andere nordische Länder, da keine Quarantäne-Maßnahmen umgesetzt wurden. Mittlerweile sind Inzidenz-Zahlen vergleichbar. Die Impfstrategie hat in Schweden sehr gut funktioniert.
In ihrem Krankenhaus (Uppsala Universitätsklinik) gab es 290 COVID-19-Ausbrüche, dabei gab es mehr Fälle beim Personal, und diese waren oft von außen eingetragen, vor allem bei geringen Symptomen oder Symptomlosigkeit der Betroffenen. Daraus ergeben sich neue Erkenntnisse dazu, wie stark das Personal bei solchen Ausbrüchen beteiligt ist. Dies lässt sich z.B. auch auf Influenza übertragen und man kann entsprechende Schutzmaßnahmen vorsehen.

Sara Romano-Bertrand beschrieb den Verlauf der Pandemie in Frankreich. Aus ihrer Sicht ergeben sich verschiedene Strategien für die Zeit nach der Krise:
Symptomatische Patienten sollten immer Maske tragen, ebenso das Personal. Auch während des Winters könnte der systematische Einsatz von Masken hilfreich sein. Und die Händehygiene bleibt eine der wichtigsten Maßnahmen.
Eine nationale unabhängige Kommission, u.a. mit Didier Pittet von der WHO, hat 40 Verbesserungsvorschläge als Vorbereitung auf die nächste pandemische Krise erarbeitet. Die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ist ein wesentlicher Bestandteil.

Hilde Jansens sprach über die Erfahrungen in Belgien. Durch die komplexe Struktur des Landes mit verschiedenen Regionen und Sprachen war die Entscheidungsfindung in der Pandemie oft schwierig und langsam. Der Problematik des Maskenmangels wurde begegnet, indem z.B. Firmen ihre Produktion umstellten. Durch die Restriktionen in den Krankenhäusern – Schutzkleidung und Besuchsverbote – gab es weniger „normale“ Infektionen. Der Einfluss der Maßnahmen auf nosokomiale Infektionen ist noch nicht klar – erste Ergebnisse zeigen ein uneinheitliches Bild. Es gab Ab-, aber auch Zunahmen. Hier müssen Surveillance-Daten genau betrachtet werden, sagte Jansens.
Sie ging noch auf eine Umfrage zu Erfahrungen mit COVID-19 unter Gesundheitspersonal ein. Die Teams der Intensivstationen sind überarbeitet und fühlen sich wenig anerkannt. Das Gute im Schlechten: für die Zukunft ist hoffentlich die Bedeutung dieser Arbeit für ein funktionierendes Gesundheitssystem klar geworden.


Silvio Brusaferro aus Italien berichtete über seine Erfahrungen. Italien war bekanntlich früh und schwer von der Pandemie betroffen. Zu Beginn 2020 war der Lockdown essenziell, um eine weitere Explosion der Fallzahlen zu verhindern. Brusaferro beschrieb die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um das öffentliche Gesundheitswesen zu stärken, u.a. Personalaufstockung und die Bereitstellung von mehr Krankenhausbetten (z.B. 3500 zusätzlichen Intensivbetten). Aber auch die lokalen Diagnose- und Monitoring-Kapazitäten für COVID-19 wurden verstärkt.
Von November 2020 an wurde die Situation anhand eines Ampelsystems eingeschätzt und die Maßnahmen entsprechend regional angepasst. Dieses System war sehr erfolgreich.
2021 wurden die Intensiv-Belegung und Krankenhausauslastung zusätzlich zur 7-Tage-Inzidenz in den Fokus gestellt. Auch der so genannte Green Pass (Impfnachweis) rückte in den Mittelpunkt. Ende März 2022 wurde die nationale Notlage aufgehoben.
Brusaferro betonte die Wichtigkeit, Daten zu sammeln, zu teilen und auszutauschen. Der One-Health-Ansatz müsse als Basis dienen.

 

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Margreet Vos präsentierte Daten aus den Niederlanden und sprach auch über das Krankenhaus der Zukunft, das die Pflege und Behandlung während einer Pandemie erleichtern soll.  Dafür ist eine gewisse Flexibilität in der Architektur notwendig.
Anpassbarkeit (z.B. der Wegeführung), Umrüstbarkeit (z.B. Änderung der Raumzuordnung), und Erweiterbarkeit sind dabei entscheidend. Um diese sinnvoll zu gestalten und praktikabel umzusetzen, ist die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen notwendig – neben den Architekten u.a. auch Spezialisten für Infektionsprävention. Für die Ambulanz war beispielsweise während der Pandemie die Lokalisation im Erdgeschoss sinnvoll, denn so konnten auch Außenbereiche genutzt werden, um Abstandsregelungen umzusetzen. Vos zeigte auch die Umwandlung einer Normalstation in eine COVID-Kohortenstation mit entsprechender Abgrenzung.
Ist Ihr Krankenhaus auf die nächste Pandemie vorbereitet? Gibt es zum Beispiel Einzelzimmer zur Isolation und genügend ausreichend belüftete Räumlichkeiten?
Vos wies aber auch darauf hin, dass man nicht sicher sagen kann, welche Elemente ein Krankenhaus für die nächste Pandemie geeignet machen – Übertragungswege können variieren, wie man auch in der COVID-19-Pandemie lernen musste. Insofern ist Flexibilität besonders wichtig.


Rose Gallagher aus Großbritannien berichtete über Erfahrungen aus Sicht der Pflege. Seit Aufhebung der Maßnahmen hat es im Vereinigten Königreich über 4 Millionen Fälle gegeben. Die Gesetzgebung (Health and Safety Law) bezieht sich nicht explizit auf das Gesundheitswesen, erklärte Gallagher. Das Risiko für Mitarbeitende im Gesundheitswesen ist aber wesentlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Die Bedeutung von Risikoeinschätzungen und Kontrollmaßnahmen ist durch die Pandemie besonders in den Fokus gerückt. Hier ist auch ein Kulturwandel notwendig, um die notwendigen Änderungen gerade bei der Risikobewertung für die Zukunft zu implementieren.
Risikoeinschätzung, Leitlinien für die Infektionsprävention und die bestehende Gesetzgebung müssen ineinandergreifen. Gallagher wies darauf hin, dass die sprachliche Formulierung von Vorgaben wesentlichen Einfluss auf die Umsetzung von Maßnahmen hat, beispielsweise drücke „vorzugsweise“ aus, dass man eine Wahl habe.
Abschließend ging sie auf die Problematik der Masken ein. Während der Pandemie sei insbesondere zu Beginn nicht darauf geachtet worden, dass FFP-2 oder -3-Masken nicht ohne Pausen den ganzen Tag getragen werden können. U.a. Hautschäden waren die Folge. Am Beispiel von potenziell schädigenden Substanzen erklärte sie, wie eine Risikoeinschätzung eigentlich durchgeführt werden müsste. Für solche Fälle wurde ein Online-Toolkit entwickelt, mit dem Risiken bewertet werden können. Die Pandemie sei also auch eine Chance, zu lernen, sagte Gallagher.

Im dritten EUNETIPS-Symposium berichtete Mulugeta Gebremicael über den Einfluss von COVID-19 in Afrika. Er betrachtete besonders die Impfkampagne. Am Beispiel anderer Impfungen wie Polio zeigte er den großen Erfolg dieser Kampagnen bei der Verhinderung von Todesfällen. Allerdings stagnierte in den letzten Jahren die Zahl der durchgeimpften Kinder, besonders in Afrika wurde bei der DTP-Impfung die Vollimmunisierung bei fast 20 Mio. Kindern unter einem Jahr nicht erreicht. Fast 14 Mio. Kinder hatten gar keine Dosis erhalten.
Erfahrungen z.B. während der Ebola-Epidemie, haben gezeigt, dass solche Impflücken bei Auftreten einer weiteren Gefahrensituation zu Ausbrüchen mit hohen Todeszahlen führen können, z.B. mit Masern, weil Impfkampagnen stagnieren oder nicht zu Ende geführt werden, wegen logistischer Probleme oder auch durch den Lockdown. Entsprechend haben auch während der Pandemie bis Februar 2022 16 afrikanische Länder Maser-Ausbrüche gemeldet, und das Polio-Wildvirus wurde wieder in Malawi nachgewiesen.

Martin Exner sprach über die deutschen Erfahrungen. Zu Beginn der Pandemie war es problematisch, dass man von der Vorratshaltung weitgehend abgekommen war – entsprechend fehlte es vor allem an Schutzkleidung.
Die Bilder aus dem schwer betroffenen italienischen Bergamo hatten großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Pandemie. Viele Einzelheiten seien bei dieser Pandemie ungewöhnlich, u.a. die lange Dauer, die viele komplementäre Präventions- und Kontrollmaßnahmen erfordert. Übertragbar sei SARS-CoV-2 schon 3 Tage vor Symptombeginn, und es gebe eine hohe Rate infizierter Personen ohne Symptome. Andererseits gab es explosive Ausbrüche – z.B. traten in der Fleischindustrie in kurzer Zeit über 1400 Fälle auf. In Altenheimen kam es auch zu Übertragungen über das Lüftungssystem.
Exner erinnerte an verschiedene Präventionsstrategien: primäre Prävention (z.B. Hygiene, Abstand, Impfung), sekundäre Prävention (u.a. Teststrategien zur frühen Erkennung), tertiäre Prävention (z.B. Kontaktverfolgung, um weitere Verbreitung bei einem Ausbruch zu verhindern). Exner stellte Phasen der Exit-Strategie vor, wie sie von der DGKH Ende März vorgeschlagen wurde. Hygieniker müssten die Systeme am Laufen halten, betonte er, denn weitere Pandemien werden folgen.

Lesen Sie außerdem: DGKG-Kongress 2022. Themen der ersten Kongresstage

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