Kongressbericht KIT 2021 – 15. Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin

© iStock.com/ClaudioVentrella

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KIT 2021 – 15. Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin

zusammengefasst von Dr. Gudrun Westermann

Themen:  Historischen Pandemien ++ COVID-19 Hygienekonzepte ++ COVID-19 bei Kindern ++ Mikrobiom und COVID-19 ++ Reisen in pandemischen und postpandemischen Zeiten ++ COVID – wie läuft es woanders? ++ Klima und Infektionen ++ Modellierungsstudien


Vom 16. – 19. Juni fand der KIT-Kongress als rein virtuelle Veranstaltung statt. Zur Eröffnung am Abend des ersten Kongresstages betonte RKI-Leiter Prof. Lothar Wieler, dass Public-Health-Maßnahmen der Kern der Pandemiebekämpfung sind. Selbst leistungsfähige Gesundheitssysteme können unter hoher Belastung zusammenbrechen. Eine Lehre aus der COVID-19-Pandemie sei aber, dass die klassischen Maßnahmen der Prävention immer zum Sinken der Zahlen führten. Auch zukünftig seien diese Maßnahmen für die Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen essentiell und ein wesentlicher Bestandteil des One-Health-Ansatzes, denn Antibiotika seien keine schnelle Lösung mehr. Globale Gesundheitsprobleme erforderten auch einen globalen Ansatz.

Prof. Heyo Kroemer, Charité, sprach über das Netzwerk Universitätsmedizin. Während der Hochzeit der Pandemie waren sämtliche schwerstkranken Patienten im Raum Berlin in der Charité konzentriert. Mittlerweile gibt es etwas weniger Fälle, aber es ist nicht vorbei, und die Patienten sind im Durchschnitt jünger. Das Netzwerk Universitätsmedizin wurde auf Initiative der Bundesregierung gegründet, um vorhandene Ressourcen und Strukturen zu kombinieren und die Kräfte zur biomedizinischen Forschung zu bündeln. Statt des Wettbewerbs stehe nun die Zusammenarbeit durch Data Sharing und Netzwerk-Bildung im Mittelpunkt. Innerhalb kurzer Zeit wurden so 13 Verbundprojekte ins Leben gerufen. Das Netzwerk zeichnet sich durch ein hohes Maß an Interdisziplinarität aus und steht in engem Austausch mit z.B. dem PEI und dem RKI. Diese Verbindung von Versorgung, Krisenmanagement und Forschung soll die schnelle Translation von Erkenntnissen in die Patientenversorgung begünstigen.

Netzwerke der Zukunft: Datenaustausch für eine verbesserte Forschung

Prof. H.-U. Prokosch, Erlangen, stellte CODEX, die COVID-19 Data Exchange Platform vor.  Diese Medizin-Informatik-Initiative hat die gemeinsame Nutzung von Daten über Grenzen von Institutionen/Standorten hinweg, auch zwischen Krankenversorgung und Forschung zum Ziel. Dazu sind 29 Datenintegrationszentren an beteiligten Universitäten im Aufbau. Das Forschungsdatenportal für Gesundheit hat Zugriff auf Daten aller Universitätskliniken.
Prof. Michael von Bergwelt aus München stellte das COVIM-Netzwerk vor. Ziel des Netzwerkes ist es, SARS-CoV2-Immunität zu untersuchen, um u.a. zu verstehen, wer wann und wie lange geschützt ist. Diese Erkenntnisse sollen möglichst in die Therapie übertragen werden. Acht Arbeitspakete existieren bereits, zu Themen wie kollektive Immunität, individuelle Immunität, Translation in die klinische Anwendung und neuerdings zur Impfung.
Untersucht werden Erkrankte – Infizierte wie Reinfizierte – und auch Genesene. Von Bergwelt bezeichnete COVIM als gelebtes, erkenntnisgetriebenes Netzwerk. COVID-19 als Multiorganerkrankung ähnelt in Teilen der Sepsis, ist aber ein komplett anderes Erkrankungsbild mit neuen, bisher unbekannten Folgen. Das Lernen aus der immunologischen Intervention habe jetzt begonnen.
Die Pandemie kann auch als epochale Chance für solche neue Forschungsnetzwerke und interdisziplinäre wie auch globale Kooperationen gesehen werden.


Was können wir aus historischen Pandemien lernen?

Vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie stellt sich auch die Frage, was wir aus historischen Pandemien lernen können. Prof. Johannes Krause aus Leipzig berichtete über Ergebnisse seiner Forschungsgruppe, die die genetische Geschichte der Pest untersucht. Der Fokus der Forschung hat sich im 20. Jahrhundert zunächst von Infektionskrankheiten wegbewegt, zugunsten von Lebensstil-Krankheiten wie Diabetes und Herzerkrankungen. Seit den 1980er Jahren gibt es aber neue Wellen von Infektionskrankheiten: HIV, Hanta, Ebola, SARS I etc. Viele Infektionskrankheiten haben als Zoonosen begonnen. Über die frühe Evolution der Erreger ist gerade bei Zoonosen wenig bekannt. In dem Forschungsprojekt „Alte Pathogen-Genomik“ werden nun die Genome alter Erreger gewonnen und untersucht. DNA kann z.B. aus Skeletten gewonnen werden.
So kann man Aufschluss über die Veränderung der Erreger über die Jahrhunderte und die Anpassung an den neuen Wirt (Mensch) gewinnen. Es gab zumindest drei große Pest-Pandemien in Europa, später auch noch in Asien, wo die Pest bis heute existiert und in Nagetieren sehr verbreitet ist. Proben von verschiedenen Fundstellen aus ganz Europa zeigen, dass diese Stämme alle identisch sind. Im 14. Jahrhundert sind also innerhalb von 5 Jahren alle Pestopfer an einem Klon desselben Bakteriums gestorben – innerhalb dieser Zeit gab es offenbar keine Veränderung des Genoms.
Heute existente Stämme in Afrika und Asien stammen alle aus Europa und sind durch Mikroevolution aus dem Stamm von damals entstanden. Mit einem neuen Tool lassen sich auch neue Funde mit einer Datenbank vergleichen, sodass es möglich wird, auch ohne Anhaltspunkt bezüglich der Todesursache riesige Datensätze zu bearbeiten. Die Untersuchungen haben auch gezeigt, dass sich die Pest im Laufe der Jahrtausende an Flöhe als Überträger angepasst hat, und dass die Mutationsrate der Erreger 10mal so hoch ist wie bisher angenommen. Generell wird die Mobilität der Erreger immer durch den Menschen beschleunigt (durch Migration, Handel, Eroberungszüge, Schiffe etc.). Hier finden wir Parallelen zur heutigen, rasanten Verbreitung des Corona-Virus.

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COVID-19 Hygienekonzepte

Dr. Janine Zweigner, Köln, beschrieb die Hygienemaßnahmen gegen COVID-19. Die Persönliche Schutzausrüstung, besonders die Masken stehen im Fokus. Die Dichtigkeit der Maske ist entscheidend für die Wirksamkeit, besonders auch bei Bartträgern. Das Tragen von Hauben sei eigentlich nicht notwendig, erklärte sie. Immer noch gebe es teilweise Engpässe, z.B. bei unsterilen Schutzhandschuhen.
An der Uniklinik Köln wurden in Eigenregie Masken mit und ohne Spritzschutz hergestellt, die mittlerweile sogar CE-zertifiziert sind. Händedesinfektionsmittel wurden selbst in vorhandene Flaschen abgefüllt, weil vor allem der Mangel an Flaschen das Problem war, da diese in China hergestellt werden. Zweigner betonte die Wichtigkeit der Händedesinfektion nach dem Ausziehen der Handschuhe. Eine gewisse Nachweisbarkeit des Virus auf unbelebten Oberflächen bestehe immerhin. Die Schulung in diesem Zusammenhang sei essentiell und müsse abhängig von Berufsgruppe angepasst werden.
Wesentlicher Baustein ist auch die Kontaktpersonennachverfolgung. Dazu stellte Zweigner das Konzept der UK Köln vor. Information und Kommunikation sind die wesentlichen Bestandteile: es gibt einen Newsletter, eine Hotline, Informationen im Intranet, dazu Poster und Flyer auch für Patienten und Besucher.

Prof. Eike Steinmann aus Bochum sprach über Möglichkeiten zur Inaktivierung von SARS-CoV-2. Er beschrieb verschieden Virenarten – behüllte und unbehüllte – und erklärte, dass SARS-CoV-2-Viren relativ labil sind. Verschiedene Bestandteile werden durch Hitze unterschiedlich stark zerstört. In eine Übersichtsarbeit von Anfang 2020 wurde dargestellt, dass SARS-CoV-2-Viren empfindlich gegen Desinfektionsmittel und auch gegen Seife sind. WHO-Formulierungen auf der Basis von Ethanol und Iso-Propanol wirken sehr gut, schon nachgewiesen gegen SARS und MERS, ebenso auch gegen SARS-CoV-2-Viren.
Auch für die neuen Varianten gelten die gleichen Empfindlichkeiten.
Anschließend ging Steinmann auf Mundspüllösungen ein, die evtl. einen Beitrag zur Reduzierung der Viruslast leisten können. Alle Mundspülungen zeigten eine gewisse Wirkung, manche sogar eine vollständige Inaktivierung. Klinische Studien stehen noch aus. Steinmann wies darauf hin, dass die Infektiosität entscheidend ist, nicht nur die PCR-Reaktion – auf diese sei kein großer Einfluss zu erwarten. Man muss daher auch immer die Virusanzucht mituntersuchen, um den Einfluss von Mundspülungen auf die Infektiosität zu bewerten.
Abschließend erwähnte Steinmann eine Untersuchung zur Stabilität und Inaktivierung von Corona-Viren auf Geldscheinen und Münzen. Touch Transfer Untersuchungen mit tierischen, für den Menschen nicht infektiösen Corona-Viren zeigten, dass nach kurzer Antrocknung hier praktisch keine Übertragbarkeit mehr besteht. Auf Münzen (aus Kupfer) ist das Virus noch labiler als auf Geldscheinen.

COVID-19 bei Kindern

Prof. Sandra Ciesek aus Frankfurt berichtete über Teststrategien an Schulen und Kindergärten, besonders die SAFE KIDS-Studie (SARS-CoV-2-Früherkennung). Einmal wöchentlich wurden dabei zwei Abstriche (Dual Swabs) durchgeführt.
Mit nur diesem Abstrich wurden aber viele Fälle übersehen. Mit einem zusätzlichen Analabstrich konnte der Nachweis auf fast 40% erhöht werden, gegenüber vorher nur 10% Positiven.
Die erste Studie wurde bei recht niedriger Inzidenz durchgeführt, daher folgte eine zweite Studie mit gleichem Design bei hoher Inzidenz. Cluster wurden auch hier nicht gefunden, nur einzelne infektiöse Kinder und durchgemachte, zuvor nicht bekannte Infektionen bei Erzieherinnen. Die Studie SAFE Kids 3 wurde mit der Lolli-Methode durchgeführt, Ergebnisse werden im Juli erwartet.
In ihrem Fazit sagte Ciesek: Infektionen in Kitas sind bei niedriger Inzidenz selten. Trotz höherer Infektionszahlen bei höheren Inzidenzen wurden aber keine Cluster nachgewiesen, also seien Kitas anscheinend kein Reservoir für SARS-CoV-2. Die Viruslast bei Schulkindern ist vergleichbar, diese werden aber selten schwer krank.
Lehrer sprechen laut und viel, so dass die Aerosolbildung hier eine größere Rolle spielt, und sie unterrichten in mehreren Klassen. Die SAFE School Hessen Studie konzentrierte sich daher auf Lehrer, die alle 2 Tage einen AG-Test selbst durchführten. Von 4000 Tests waren 13 positiv, aber in der PCR negativ. Nach den Herbstferien bei hoher Inzidenz waren 11 von 9000 positiv, 7 davon durch PCR bestätigt. Falsch positive Tests ergäben sich besonders durch S.-aureus-Besiedlung, erklärte Ciesek. Bei hoher Inzidenz sind die AG-Tests sinnvoll, um Cluster schnell zu erkennen. Mittlerweile sind sie in den Schulen auch für die Schüler Standard.

Prof. Arne Simon aus Homburg berichtete über einen SARS-CoV-2-Ausbruch in einer Neonatologie in Südafrika. Indexpatientin war eine Krankenschwester. Probleme waren hier u.a. die lange Latenz von der Probennahme bis zum Ergebnis der PCR-Testung, außerdem die Besuche der Mütter, die jeden Tag wieder nach Hause fuhren und dann wieder in die Klinik kamen, was die Einschleppung weiterer Infektionen begünstigte.
In einer anderen Studie wurde Risikofaktoren für die nosokomiale Übertragung von SARS-CoV-2 festgestellt: Patientenkontakt ohne adäquate Schutzkleidung und Kontakt von Personal ohne Abstand und Schutzausrüstung in der Community außerhalb des Krankenhauses. Mild oder asymptomatisch infizierte Besucher können das Virus ebenfalls übertragen. Bei Kontakten zwischen Mitarbeitern werden die Maßnahmen oft nicht so beachtet wie beim Patientenkontakt; auch hier sind Übertragungen möglich.
Weiter ging Simon auf das Infektionsschutzgesetz ein. Es wird diskutiert, im Kontakt mit vulnerablen Patienten nur geimpftes Personal einzusetzen. Nach §23a kann der Arbeitgeber dazu auch Auskunft zum Impfschutz erfragen und kann ggf. Mitarbeiter nicht mehr in solchen Bereichen einsetzen. Der faktische Pflegenotstand wirkt dem allerdings entgegen.

Prof. Reinhard Berner, Dresden, sprach über SARS-CoV-2 bei Kindern. Insgesamt seien intensivpflichtige SARS-CoV-2-Fälle selten, beträfen häufig Kinder mit Vorerkrankungen, und auch Todesfälle seien selten. Er stellte das PIMS-Register vor. Die Inzidenz liegt ca. bei 1:5000 als Folge einer SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern und folgt der COVID-Erkrankung im zeitlichen Abstand von etwa 4 Wochen nach. Daher ist eine immunologische Ursache zu vermuten. Der PIMS-Verlauf ist meist schwere als beim ähnlichen Kawaski-Syndrom. Im Register bisher 350 Fälle in Deutschland gemeldet. Zwei Drittel der Kinder sind älter als 7 Jahre, mit deutlicher Häufung bei Jungen. Es gibt bei 75% der Patienten eine Magen-Darm-Beteiligung, zusätzlich zu Fieber und Herz-Kreislauf-Symptomatik. 5,8% haben gewisse Folgeschäden. Restsymptome bilden sich dagegen mit der Zeit zurück.
Je älter die Kinder sind, desto höher das Risiko für einen schweren Verlauf.
Häufig ist neben hohen Entzündungsparametern eine Hyponatriämie, die oft zu einer Kreislaufsymptomatik führt. Zur Pathogenese gibt es Hypothesen, z.B. eine HLA-Abhängigkeit, aber hier ist noch viel dazuzulernen, sagte Berner.

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Mikrobiom und COVID-19

PD Dr. Jan Kehrmann aus Essen sprach über die Bedeutung des Darmmikrobioms. Schwere Verläufe von COVID-19 gibt es vor allem bei Patienten mit Grunderkrankungen, bei denen das Mikrobiom ebenfalls verändert ist, z.B. bei Diabetikern.
Untersuchungen von Rektalabstrichen haben auch bei SARS-CoV-2-positiven Patienten eine entzündliche Signatur des Darmmikrobioms gezeigt, im Sinne einer ausgeprägten Dysbiose des Darmmikrobioms. Die Änderungen sind nicht spezifisch und finden sich auch bei anderen (Virus-)Infektionen. So ist bekannt, dass das Darmmikrobiom den Schweregrad von Influenza-Infektionen der Lunge beeinflusst.

Christoph Stein-Thöringer vom DKFZ aus Heidelberg stellte eine Studie zum oropharyngealen Mikrobiom vor. Trotz des zunehmenden Wissens über die klinischen und immunologischen Merkmale, die COVID-19 zugrunde liegen, bleiben biologische Variablen, die den Verlauf der Infektion und ihren Schweregrad erklären, schwer fassbar. An der Eintrittsstelle von SARS-CoV-2 spielt aber wohl auch das oropharyngeale Mikrobiom eine Rolle.
In einer multizentrischen klinischen Studie zur Analyse des oropharyngealen Mikrobioms bei gesunden Erwachsenen, Patienten mit Nicht-SARS-CoV-2-Infektionen oder mit leichter, mittelschwerer und schwerer COVID-19-Erkrankung, die insgesamt 345 Teilnehmer umfasste, wurde das oropharyngeale Mikrobiom untersucht.
Bei schwer erkrankten hospitalisierten Patienten wurde eine signifikant reduzierte Mikrobiom-Diversität und eine hohe Dysbiose beobachtet. Die wird verstärkt durch AB-Gaben. Eine Beatmung stört das Mikrobiom ebenfalls.
Gibt es Biomarker, die das Outcome bei COVID-19-Patienten vorhersagen können? Um das herauszufinden, wurden den Patienten an den ersten drei Tagen nach Aufnahme Proben entnommen. Dabei zeigte sich, dass die Spezies-Variabilität recht gut mit dem Outcome korreliert, besser als klinische Faktoren (z.B. Adipositas). Hohe Werte von Neisseria und Hämophilus spp. scheinen Prädiktoren für ein besseres Überleben zu sein. Die pathophysiologische Bedeutung dieser Befunde muss aber noch geklärt werden.


Reisen in pandemischen und postpandemischen Zeiten

Dr. Sophie Schneitler, Universitätskliniken des Saarlandes, sprach über Testungen für Reisende. Sie stellte die Eingruppierung Reisender nach Corona-Status vor und erklärte, dass Genesene nach 6 Monaten wieder als ungeimpft/nicht vorerkrankt eingestuft werden Zusätzlich werden Gebiete, aus denen man kommt, klassifiziert in Hochinzidenz- oder Virusvariantengebiete. Bei letzterem müssen alle unabhängig von der Eingruppierung 14 Tage in Quarantäne.
Eine Pandemie kann sich heute gerade durch Reisen innerhalb weniger Tage verbreiten. Eine frühe Detektion ist daher wichtig. Aber wann ist Testen sinnvoll? Schneitler berichtete über einen Fall, wo angesteckte Personen schon symptomatisch waren, die PCR bei der Überträgerin aber erst danach positiv wurde. Trotzdem sind Testungen durchaus sinnvoll, und stellen auch eine Chance dar, auf andere reiseassoziierte Erkrankungen und Gefährdungen hinzuweisen.
Dennoch bleiben Fragen offen: Was gilt als Reise? Ist der Grenzübertritt das entscheidende Merkmal? Eine Harmonisierung würde den Prozess für alle erleichtern, sagte Schneitler. Zum Beispiel muss über den Umgang mit noch PCR-positiven Patienten bei fehlender Infektiosität entschieden werden; momentan wird meist, wenn der positive Test älter als 28 Tage ist, ein Zertifikat ausgestellt, dass Reisen z.B. mit dem Flugzeug ermöglicht.



Prof. Patricia Schlagenhauf aus Zürich sprach über Impfungen. Die COVID-19-Impfung kann im gelben WHO-Impfpass bestätigt werden und hat dann internationale Gültigkeit. Das EU-Zertifikat ist seit Mitte Juni verfügbar.
Impfungen sollten aber nicht Voraussetzung für eine Reise sein, da sonst Reisende möglicherweise bevorzugt geimpft würden und es zu einem Engpass für priorisierte Personen kommen könnte. Und was, wenn kein Zugang zur Impfung besteht oder jemand nicht geimpft werden kann? Wird Reisen ein Privileg für reiche Länder?
Trotz dieser Fragen sind die Zertifikate ein Fortschritt und werden das Reisen erleichtern, besonders für wenig Gefährdete, und ökonomische und touristische Faktoren werden positiv beeinflusst, sagte Schlagenhauf.
Die Varianten stellen eine neue Herausforderung für die Impfung dar, ebenso ist die Dauer des Impfschutzes ist ein Faktor. Momentan wird von einer 12-monatigen Wirksamkeit ausgegangen. 8 Tage nach einer COVID-Impfung seien andere Impfungen möglich. Andersherum sollte der Abstand aber länger sein, da noch keine Erfahrungen vorliegen.

Welche Rolle spielen Modelle?

Prof. André Karch aus Münster stellte die Frage, welche Rolle mathematische Modelle in der Pandemie spielen und betonte, dass mathematische Modelle im Grunde gar keine Prognosemodelle sein können und wollen. Ziel der Modellierung sei vor allem, realistische Szenarien abzubilden, und man muss bedenken, dass die Ergebnisse der Modellierung selbst die Zukunft verändern, wenn sie ernst genommen werden und entsprechende Reaktionen bzw. Verhaltensänderungen auslösen.
Im letzten Jahr wurden Modelle und Modellierer erstmals in der Öffentlichkeit wahrgenommen und es gab nicht nur positive Reaktionen darauf, auch weil die Modelle scheinbar einen Einfluss auf die Pandemiesteuerung hatten.
Karch stellte Studiendokumente vor, die zu Beginn der ersten Welle eine Rolle gespielt haben könnten: Report 9, der neben einer zu erwartende hohen Todeszahl die Tatsache darstellte, dass einzelne klassische Infektionspräventionsmaßnahmen allein jeweils keinen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf haben würden.
Karch betonte, dass Modellierer in einer sehr kritischen Situation sind, besonders bei neuen Erkrankungen. Sie sollen auf der Basis von sehr wenigen Informationen Voraussagen treffen, die dann auch noch in einer aufgeladenen Situation evtl. zur Entscheidungsfindung herangezogen werden. In der Pandemie müssen zunächst bei geringer Evidenzlage Entscheidungen getroffen werden, mit der Zeit verbessert sich die Evidenzlage, aber auch die Fragestellungen werden komplexer.

Der entscheidende Teil jeder Modellierungsstudie ist die Findung der geeigneten Parameter, dies nehme den Hauptteil der Arbeit ein, sagte Karch, und verdeutlichte dies anhand der Kontaktstruktur in der Bevölkerung. Dabei spielt nicht nur die Zahl der Kontakte eine Rolle, sondern auch das jeweilige Setting ist entscheidend, in dem sich Personen treffen. Die Daten der ersten Welle lassen sich sehr gut mit so genannten Small-World-Netzwerken vereinbaren, d.h. Personen haben in gewissen Gruppen Kontakt untereinander, wobei einzelne Personen aus jeder Gruppe auch Kontakt zu Personen aus einem anderen Small Network haben. Im Hinblick auf die Kontaktnachverfolgung zeigt die Modellierung, dass eine möglichst geringe Verzögerung bei der Isolierung den besten Effekt hat.
Zur Herdenimmunität erklärte Karch, dass die einfache Annahme, dass 2/3 Immune in der Bevölkerung ausreichten, so nicht zutrifft. Es würden sich dann zwar weniger Menschen anstecken, aber es wird immer noch Infektionen geben, bis ca. 90% infiziert bzw. immun sind. Er verdeutlichte diesen Verlauf anhand der Masern: Seit Verfügbarkeit der Impfung sind die Epidemien deutlich zurückgegangen, treten aber weiter immer wieder auf, weil es immer wieder neue empfängliche Personen gibt und andererseits immune Personen sterben, so dass der Schwellenwert für die Herdenimmunität immer wieder (evtl. auch nur lokal) unterschritten werden kann.
Modelle wurden z.B. anfänglich bei der Frage nach der besten Impfpriorisierung eingesetzt, darauf beruhte beispielsweise die Entscheidung, zwischen über 80jährigen und über 60jährigen einen Unterschied zu machen. Genauso lässt sich in dem Modellen zeigen, dass der Effekt der Impfung von Kindern und Jugendlichen sowohl auf Todesfälle in dieser Gruppe wie auch auf die gesamte Infektionsdynamik nur marginal wäre.
Abschließend erklärte Karch, dass aktuelle Ereignisse, wie zu Anfang der Pandemie die Bilder aus Bergamo, stärkeren Einfluss auf die Entscheidungen haben als eventuelle Ergebnisse von Modellierern.

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COVID – wie läuft es woanders?

Hojoon Sohn von der Johns-Hopkins-Universität berichtete über den Umgang mit COVID-19 in Südkorea. Er zeigte, dass die Infektionswellen durch Abstand und Masken deutlich eingedämmt wurden, und besonders durch den Start der Impfkampagne die Zahlen deutlich zurückgegangen sind. Er zeigte auch, dass die Wiederöffnung der Schulen zu einem leichten, aber nicht signifikanten Anstieg der Infektionszahlen geführt hat. Nach wie vor wird sehr viel getestet.
Sohn fasste die Lernpunkte aus der MERS-Epidemie 2015 zusammen. Verspätete Identifikation von Fällen wie auch fehlende Strukturen zur Kommunikation und mangelnde Schulung des medizinischen Personals bezüglich des Umgangs mit dieser neuartigen Infektion führte zu zahlreichen Ausbrüchen.
Seither hat sich viel geändert, wie Sohn anhand der aktuellen Strukturen des südkoreanischen Gesundheitssystems erläuterte. Unter anderem wurde ein nationales Laborsystem etabliert, das überall rasche Diagnostik ermöglicht. Außerdem gibt es kostenlose Testeinrichtungen, und die epidemiologischen Untersuchungen sowie das Kontaktmanagement sind massiv ausgebaut worden. Unter anderem werden für bestätigte Fälle die Kontakt- und Bewegungsdaten dieser Patienten mit Hilfe von u.a. Mobilfunkdaten, Kreditkartentransaktionen oder Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs abgeglichen. Dies führte allerdings auch zu Datenschutzproblemen. In Bezug auf Reisende sind die Quarantänemaßnahmen sehr effektiv. Es gibt z.B. für international eingereiste Passagiere spezielle Wagen in Zügen und speziell ausgestattete Taxis.

Prof. Ayola Akim Adegnika, Universität Tübingen, berichtete über die Maßnahmen in Gabun. Er erklärte, dass in Afrika vielerorts keine ausreichende Testinfrastruktur existiert, was zu relativ niedrigen gemeldeten Fallzahlen führen kann. Seit dem Auftreten erster Fälle in Gabun im März 2020 wurden die Schulen geschlossen, momentan herrscht auch noch eine nächtliche Ausgangssperre, und die bekannten Maßnahmen spielen eine wichtige Rolle: Masken, Testen, Social distancing und Kontaktnachverfolgung. Die Laborstruktur ist erheblich ausgebaut worden, so dass Patienten mit Fieber oder andren Symptomen sowie Reisende kostenlos getestet werden können. Wie sieht es mit der Behandlung aus? Intensivstationen existieren nur in den Provinzhauptstädten. Die Mehrzahl der Fälle verläuft mit nur geringer Symptomatik oder symptomlos, und die Letalität ist niedrig. Allerdings werden wahrscheinlich auch nicht alle Erkrankungs- und Todesfälle gemeldet. Die Impfkampagne mit dem chinesischen Impfstoff Sinopharm wurde im März 2021 begonnen und wird an über 20 Impfzentren im Land durchgeführt. Jeder über 18 kann sich impfen lassen. Allerdings herrscht ein große Impfskepsis im Land. Negative Meldungen verbreiten sich über Soziale Medien schnell im ganzen Land. Auch die Varianten von SARS-CoV-2 breiten sich im Land aus. Daher gibt es auch Beschränkungen und Quarantäne- und Testpflichten für Reisende.

Yannik Eggers aus Düsseldorf berichtete über Aktivitäten des Hirsch Tropenmedizin Instituts in Äthiopien, das ein Außenposten der Heinrich-Heine-Universität ist. Die Stadt Asella in der Region Aris hat etwa 4 Millionen Einwohner. Der erste Fall in Äthiopien wurde im März 2020 identifiziert. Seither wurde die Laborkapazität vor allem auf der regionalen Ebene ausgebaut.
Eggers berichtete über die Aktivitäten vor Ort in Asella und am Institut, u.a. Schulungen, Laborausbau und Testungen.
Gerade zu Beginn der Pandemie hatte COVID-19 lokal starke Auswirkungen, z.B. Versorgungsengpässe, unklares Management von Notfallpatienten, und auch Stigmatisierung und Diskriminierung spielten eine große Rolle.
Die Mehrzahl der im Krankenhaus behandelten Patienten hat keine Vorerkrankungen. Ca. 60% der intensivmedizinisch behandelten Patienten sind verstorben. Es wurden vor allem anfangs auch viele Patienten mit geringer Symptomatik aufgenommen, vor allem, um diese von ihrem Umfeld zu isolieren.
Mittlerweile ist viel praktische Erfahrung gesammelt worden, die Umsetzung der Hygienemaßnahmen hat sich deutlich verbessert und ist alltäglich geworden, und die Kapazitäten für PCR-Testungen sowie die digitale Infrastruktur konnten ausgebaut werden.
Mittlerweile sind verschiedene Studien initiiert worden, so z.B. zur Einführung einer App zum Contact Tracing und die COVSERO-Studie zur Seroprävalenz.


Was uns erwartet: Klima und Infektionen – eine Wechselwirkungsanalyse

Prof. Jan Felix Drechsler von der Charité sprach über mückenübertragene virale Erkrankungen (arthropode-borne, ARBO). ARBO-Viren, u.a. Flavi- und Alphaviren, werden oft von Mücken übertragen. Besonders häufig sind diese Infektionen in tropischen Regionen, wo die Labor- und Gesundheitsinfrastruktur oft schlecht ist.
Diagnostisch sind diese Erkrankungen eine Herausforderung, denn die Viren mutieren schnell und können die Sensitivität der PCR-Systeme stark beeinflussen.
Die Spezifität ist ein Problem bei der Serologie. Drexler zeigte das für Dengue- und Chikungunya-Viren. Die Spezifität mancher der kommerziell verfügbaren Tests kann dadurch bis auf 20% absinken. Besonders in endemischen Gebieten kommt dies vor, bedingt durch die Vielzahl an ARBO-Viren-Infektionen, die Menschen dort durchmachen. B-Zellen produzieren nach vorangegangenen Infektionen dann bereits Antikörper, aber weniger spezifische AK gegen die aktuelle Infektion.
Geringe Viruslasten verstärken die Herausforderung, denn bei manchen Viren (z.B. Zika) mit durchschnittlich nur 10.000 Viruskopien liegen diese nah an der technischen Nachweisgrenze der qPCR, erklärte Drexler.
Auch der Zeitpunkt der Probennahme ist entscheidend; an Tag 7 kann die Sensitivität schon unter 20% liegen. Wichtig ist auch, eine oder zwei Wochen später ein Folgeserum abzunehmen, das in vielen Fällen die Diagnosesicherung noch ermöglicht.

Prof. August Stich, Würzburg, sprach über neue klinische Bilder durch den Klimawandel. Die Herausforderungen des Klimawandels sind weitaus größer als die der aktuellen Pandemie, betonte er. Das führt zu erheblichen Veränderungen bei den Krankheitsbildern, die wir sehen. Auch das Gesundheitswesen selbst hat einen erheblichen CO2-Ausstoß zu verantworten. Neben einer Zunahme von kardiovaskulären und pulmonalen Erkrankungen, Mangelernährung etc. nehmen Vektor-übertragene Krankheiten zu.  
Stich berichtete über eine massive Steigerung von West-Nil-Fieber-Fällen seit 2018, zunächst in Südosteuropa, zunehmend aber auch weiter nördlich bis in der Nähe von Wien. Zugvögel sind mittlerweile schon im Februar wieder hier oder ziehen gar nicht mehr. Sie sind dann nicht mehr immun und sterben hier an West-Nil-Fieber.
Aedes-Arten, u.a. Aedes albopictus, kommen zunehmend in Europa vor.
Bei Pflanzen sind allergene, eingeschleppte Pflanzen häufiger (Ambrosia) und blühen länger, daher gibt es längere und schwerere Allergieverläufe.
Vibrio-Infektionen, darunter Cholera, nehmen ebenfalls zu, u.a. durch die Veränderung von Meeresströmungen.
Migrationsbewegungen nehmen zu, z.B. durch Unbewohnbarkeit infolge des Klimawandels. Dies führt zum Thema „One Health/Global Health“ und „Planetary Health“, wobei der Zusammenhang zwischen natürlichen Systemen und der menschlichen Zivilisation im Fokus steht. Planetary Health interdisziplinär, auf zukünftige Generationen ausgerichtet. Wir sind die letzten Menschen, die den Klimawandel erkennen und messen können und zugleich noch etwas dagegen tun können, sagte Stich.

Prof. Sven Klimpel aus Frankfurt erklärte, dass eine Klimaerwärmung zwischen 1 und 2 °C gar nicht mehr zu verhindern ist. Infektionskrankheiten gehören zu den Risiken, die dadurch ebenfalls ansteigen. Zoonosen haben beispielsweise stark zugenommen.
Vektoren können Wirbeltiere oder Wirbellose sein, die meist spezifische Erreger übertragen, z.B. Viren oder Parasiten.
Klimpel betonte, dass Ausbrüche neuer Erreger im Grunde immer interdisziplinär bearbeitet werden müssten und beschrieb die methodische Vorgehensweise.
Invasive Stechmücken (Aedes-Arten) sind auch in Europa bereits verbreitet. Die Eignung der Lebensräume für diese Vektoren wird in mathematischen Modellen untersucht, die eine Vielzahl von Daten benötigen.
Klimpel zeigte, dass beispielsweise zwei Aedes-Arten verschiedene klimatische Nischen nutzen. Modelle zeigen, dass dies Mücken weiter auf dem Vormarsch sind und mancherorts heimische Arten verdrängen werden.
Vor diesem Hintergrund wird auch die Leishmaniose eine zunehmende Rolle spielen. Wenn die Vektoren sich erst einmal ausgebreitet haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die entsprechenden Krankheiten zunehmen.

 

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